Publié le 18 avril 2024

Der Schlüssel zur Rettung der Artenvielfalt in der Schweiz liegt nicht in isolierten Massnahmen, sondern im Aufbau einer landesweiten, funktional vernetzten ökologischen Infrastruktur.

  • Die Schweiz hinkt im europäischen Vergleich beim Anteil der Schutzgebiete hinterher, was grossflächige Rückzugsorte für Arten limitiert.
  • Kleinstrukturen wie Hecken und Teiche sind essenziell, entfalten ihre volle Wirkung aber erst, wenn sie als « Trittsteine » in einem verbundenen System fungieren.
  • Gezielte Projekte für die am stärksten gefährdeten Gruppen, wie Amphibien, sind wirksamer als unspezifische Förderungen allein.

Recommandation: Priorisieren Sie Massnahmen, die bestehende Lebensräume nicht nur schützen, sondern sie aktiv miteinander verbinden, um eine widerstandsfähige Natur für die Zukunft zu schaffen.

Das Bild der Schweiz ist geprägt von majestätischen Bergen, grünen Wiesen und klaren Seen. Doch hinter dieser idyllischen Fassade verbirgt sich eine stille Krise: Das Land hat eine der höchsten Raten an bedrohten Arten in Europa. Die üblichen Ratschläge sind bekannt – mehr Blumen für Bienen pflanzen, auf Pestizide verzichten oder neue Naturschutzgebiete fordern. Diese Ansätze sind zwar gut gemeint, kratzen aber oft nur an der Oberfläche eines systemischen Problems. Sie behandeln die Symptome, nicht die tiefere Ursache, die in der Zerschneidung und Verarmung unserer Landschaft liegt.

Was wäre, wenn der wirksamste Hebel nicht die Grösse einer einzelnen Massnahme ist, sondern die intelligente Verbindung unzähliger kleiner und grosser Lebensräume? Die wahre Herausforderung liegt darin, die isolierten « Natur-Inseln » – vom Nationalpark bis zum privaten Garten – zu einem zusammenhängenden Ganzen zu verknüpfen. Dieser Artikel bricht mit der Debatte « gross gegen klein » und stellt stattdessen das Konzept einer funktionalen ökologischen Infrastruktur in den Mittelpunkt. Es ist ein Paradigmenwechsel: weg von punktuellen Rettungsaktionen, hin zu einer systemischen Stärkung der Natur als Ganzes.

Wir werden untersuchen, warum die bisherigen Anstrengungen nicht ausreichen und wie die verschiedenen Ebenen des Artenschutzes ineinandergreifen müssen. Von der Rolle nationaler Schutzgebiete über die Bedeutung von Kleinstrukturen bis hin zu den fatalen Auswirkungen unsichtbarer Bedrohungen – dieser Beitrag liefert eine fundierte Analyse, um die Biodiversität in der Schweiz nicht nur zu erhalten, sondern sie aktiv wiederherzustellen.

Warum sind 50% der Schweizer Tier- und Pflanzenarten auf der Roten Liste?

Die alarmierende Zahl, dass rund die Hälfte der einheimischen Arten in der Schweiz auf der Roten Liste steht oder potenziell gefährdet ist, widerspricht dem Selbstbild einer naturnahen Nation. Der Hauptgrund für diese Diskrepanz liegt nicht im Mangel an Grünflächen, sondern in deren Qualität. Eine intensiv bewirtschaftete, stark gedüngte Wiese mag zwar saftig grün sein, ist aus ökologischer Sicht jedoch oft eine Wüste. Die Vielfalt an Pflanzenarten ist minimal, was wiederum die Nahrungsgrundlage und den Lebensraum für Insekten, Vögel und andere Tiere drastisch reduziert.

Dieser Verlust an Lebensraumqualität wird durch die fortschreitende Zerschneidung der Landschaft verschärft. Strassen, Siedlungen und intensive landwirtschaftliche Monokulturen wirken wie unüberwindbare Barrieren. Sie fragmentieren die verbleibenden naturnahen Gebiete in isolierte Inseln. Für viele Arten, insbesondere für solche mit geringem Aktionsradius wie Amphibien oder gewisse Insekten, ist ein genetischer Austausch zwischen Populationen dadurch unmöglich. Dies führt zu Inzucht und macht die Populationen anfälliger für Krankheiten und Umweltveränderungen, was ihr lokales Aussterben beschleunigt.

Wie Daniela Pauli vom Forum Biodiversität Schweiz treffend zusammenfasst, liegt das Problem in der Wahrnehmung dessen, was « Natur » ist. Es geht um mehr als nur um eine grüne Landschaft. Echte Biodiversität braucht Strukturreichtum, Magerstandorte und ungestörte Prozesse.

Grün ist eben nicht gleich Biodiversität. Biodiversität bedeutet Vielfalt; doch in satt gedüngten Wiesen herrscht Einfalt. Letztlich braucht es für eine Trendwende einen gesellschaftlichen Wandel: Wir müssen den Ressourcenverbrauch deutlich reduzieren, damit wir die planetaren Grenzen respektieren.

– Daniela Pauli, Forum Biodiversität Schweiz im Interview mit Beobachter

Der intensive Druck durch die Landnutzung, die Versiegelung von Böden und der Eintrag von Nährstoffen und Pestiziden sind die direkten Treiber dieses Rückgangs. Solange die Qualität und die Vernetzung der Lebensräume nicht Priorität haben, wird die Rote Liste weiter anwachsen.

Vom Nationalpark zum Blühstreifen: Die 7 Ebenen der Biodiversitätsförderung

Effektiver Artenschutz findet nicht auf einer einzigen Ebene statt, sondern erfordert ein konzertiertes Vorgehen auf allen Massstabsebenen. Die Schweiz, die laut einer Feststellung der Europäischen Umweltagentur von allen europäischen Ländern den niedrigsten Anteil an Schutzgebieten im Verhältnis zur Landesfläche hat, muss hier dringend aufholen. Doch grosse Schutzgebiete allein sind nicht die Lösung. Der Erfolg liegt im Aufbau einer durchgehenden ökologischen Infrastruktur, die vom Grössten bis ins Kleinste reicht. Man kann sich dies wie ein Verkehrsnetz für die Natur vorstellen, das aus sieben zentralen Ebenen besteht.

Diese Ebenen reichen von grossflächigen Kerngebieten bis zu kleinsten Strukturen im Siedlungsraum:

  • Ebene 1: Nationalpärke und grosse Schutzgebiete. Sie sind die unverzichtbaren Herzen der Biodiversität und bieten Rückzugsräume für anspruchsvolle Arten.
  • Ebene 2: Regionale Naturpärke und Moorlandschaften. Sie fungieren als Pufferzonen und wichtige Verbindungsglieder.
  • Ebene 3: Kantonale Schutzgebiete und Vernetzungskorridore. Wildtierkorridore entlang von Flüssen und Wäldern sichern die Wanderrouten.
  • Ebene 4: Landwirtschaftliche Biodiversitätsförderflächen. Hecken, Buntbrachen und extensive Wiesen sind die Adern des Netzes im Kulturland.
  • Ebene 5: Wälder mit hohem Totholzanteil und Naturwaldreservaten. Sie sind Hotspots für spezialisierte Arten.
  • Ebene 6: Öffentliche Grünflächen in Gemeinden. Parks und Strassenränder müssen naturnah gestaltet werden.
  • Ebene 7: Private Gärten und begrünte Gebäude. Jeder einzelne Garten kann als « Trittsteinbiotop » dienen.

Die folgende Darstellung visualisiert, wie diese verschiedenen Ebenen ineinandergreifen und ein zusammenhängendes Netzwerk bilden, das es Arten ermöglicht, sich zu bewegen, sich anzupassen und zu überleben.

Visualisierung der vernetzten Lebensräume vom Nationalpark bis zu privaten Gärten in der Schweiz

Wie das Bild zeigt, ist die funktionale Vernetzung das entscheidende Kriterium. Ein Blühstreifen nützt wenig, wenn er von einer ökologischen Wüste umgeben ist. Erst wenn er eine Verbindung zu einer Hecke herstellt, die wiederum an einen Waldrand grenzt, entsteht ein Mehrwert für die Tier- und Pflanzenwelt. Die Schaffung dieser durchgehenden ökologischen Infrastruktur ist die zentrale Aufgabe für den Artenschutz in der Schweiz.

1.000 ha Nationalpark oder 10.000 Kleinstrukturen: Was fördert mehr Arten?

Die Frage, ob man besser in grossflächige Schutzgebiete oder in eine Vielzahl von Kleinstrukturen investieren sollte, ist irreführend. Die ökologische Realität zeigt: Wir brauchen beides. Grosse, ungestörte Gebiete sind für anspruchsvolle und raumgreifende Arten wie den Luchs oder das Auerhuhn überlebenswichtig. Sie bilden die Kernzonen der Biodiversität. Gleichzeitig ist der Verlust an Lebensraum so immens, dass eine alleinige Konzentration auf Grossschutzgebiete nicht ausreicht. Historische Daten zeigen, dass seit 1900 fast 7’600 km² an artenreichen Lebensräumen wie Trockenwiesen und Auen verloren gingen – eine Fläche, die fast einem Fünftel der Schweiz entspricht.

Dieser Verlust fand primär im Kulturland und im Mittelland statt, also genau dort, wo heute die meisten Menschen leben und wirtschaften. Hier sind es die Kleinstrukturen, die eine entscheidende Rolle spielen. Eine Hecke, ein Steinhaufen, ein kleiner Tümpel oder ein Saum aus Wildblumen sind keine isolierten Dekorationselemente, sondern essenzielle Trittsteinbiotope. Sie ermöglichen es unzähligen Arten – von Insekten über Reptilien bis hin zu Kleinsäugern – sich in der ansonsten oft ausgeräumten Landschaft zu bewegen, Nahrung zu finden und sich fortzupflanzen. Sie bilden das feingliedrige Kapillarsystem der ökologischen Infrastruktur.

Die wahre Wirksamkeit entsteht, wenn Gross und Klein strategisch miteinander verbunden werden. Die folgenden Beispiele zeigen, wie dies in der Praxis gelingen kann.

Fallbeispiel: Erfolgreiche Lebensraumvernetzung in der Schweiz

Das Potenzial der Vernetzung wird durch zahlreiche Projekte in der Schweiz eindrücklich belegt. BirdLife Schweiz ist an Initiativen beteiligt, die zeigen, wie sich Naturschutz und Landnutzung erfolgreich kombinieren lassen. In Langenbruck (BL) werden beispielsweise lichte Wälder und artenreiche Weiden gefördert, um Lebensräume für Vögel wie den Neuntöter zu schaffen. Im Grossen Moos (BE), einer intensiv genutzten Gemüseanbauregion, werden durch Buntbrachen und Hecken wichtige Lebensräume für das Rebhuhn und andere Feldvögel aufgewertet. Und in der Bündner Herrschaft (GR) wird demonstriert, wie sich eine qualitativ hochstehende Holznutzung mit dem Schutz der Biodiversität verbinden lässt.

Diese Projekte beweisen: Der grösste Hebel liegt nicht in der Wahl zwischen Nationalpark und Kleinstruktur, sondern in der intelligenten Integration von Naturschutzmassnahmen in die genutzte Landschaft, um eine funktionale Vernetzung zu gewährleisten.

Die exotische Pflanzung, die einheimische Arten verdrängt

Während der Verlust und die Fragmentierung von Lebensräumen die grössten Bedrohungen darstellen, gibt es eine weitere, oft unterschätzte Gefahr: invasive Neophyten. Dies sind gebietsfremde Pflanzen, die sich unkontrolliert ausbreiten und einheimische Arten verdrängen. In der Schweiz gibt es aktuell rund 1305 fremde Arten, von denen die meisten unproblematisch sind. Jedoch gelten etwa 15% davon als invasiv und stellen eine ernsthafte Gefahr für die lokale Biodiversität dar. Prominente Beispiele sind der Japanische Staudenknöterich, das Drüsige Springkraut oder der Sommerflieder.

Das Problem dieser Pflanzen ist ihre hohe Konkurrenzkraft. Sie wachsen oft schneller, produzieren mehr Samen und haben in unseren Ökosystemen keine natürlichen Fressfeinde oder Krankheiten, die ihre Ausbreitung regulieren. So können sie in kurzer Zeit dichte Bestände bilden, die einheimischen Pflanzen das Licht, das Wasser und die Nährstoffe nehmen. Dies führt zu einer Verarmung der lokalen Flora. Noch gravierender sind die Folgen für die Tierwelt: Viele einheimische Insekten, insbesondere Schmetterlingsraupen, sind auf ganz bestimmte Futterpflanzen spezialisiert. Wo invasive Neophyten dominieren, finden diese Spezialisten keine Nahrung mehr. Der Sommerflieder beispielsweise lockt zwar viele Schmetterlinge mit seinem Nektar an, seine Blätter dienen aber keiner einzigen einheimischen Raupenart als Futter. Er ist eine ökologische Sackgasse.

Die Bekämpfung dieser Arten ist aufwendig und kostspielig. Die effektivste Strategie ist daher die Prävention und die frühzeitige Kontrolle, bevor sich die Pflanzen grossflächig etablieren können. Jeder Gartenbesitzer und jede Gemeinde trägt hier eine grosse Verantwortung.

Ihr Aktionsplan: Invasive Neophyten erkennen und bekämpfen

  1. Frühzeitige Erkennung: Kontrollieren Sie Gärten, Uferzonen und Waldränder regelmässig auf das Vorkommen bekannter invasiver Arten. Nutzen Sie Identifikationshilfen von kantonalen Fachstellen.
  2. Sofortige Bekämpfung: Entfernen Sie entdeckte Pflanzen umgehend und vollständig, idealerweise mechanisch durch Ausreissen oder Ausgraben, bevor sie Samen bilden können.
  3. Korrekte Entsorgung: Werfen Sie das Pflanzenmaterial niemals auf den Kompost oder in die Natur. Es muss über den Hauskehricht der Kehrichtverbrennung zugeführt werden, um eine weitere Verbreitung zu verhindern.
  4. Präventive Massnahmen: Setzen Sie beim Pflanzenkauf konsequent auf einheimische und standortgerechte Alternativen. Lassen Sie sich in Fachgeschäften beraten, um sicherzustellen, dass Sie keine problematischen Arten erwerben.
  5. Fundorte melden: Melden Sie grössere Bestände invasiver Neophyten ausserhalb von Privatgärten den zuständigen kantonalen Fachstellen oder der Gemeinde. Dies hilft, die Ausbreitung zu überwachen und gezielte Massnahmen zu ergreifen.

Die Wahl der richtigen Pflanzen ist somit eine direkte und wirksame Massnahme zum Schutz der einheimischen Artenvielfalt, die jeder Einzelne umsetzen kann.

Amphibienteich oder Blumenwiese: Welche Massnahme rettet die gefährdetsten Arten?

Allgemeine Fördermassnahmen wie das Anlegen von Blumenwiesen sind wertvoll, um die breite Insektenvielfalt zu unterstützen. Doch um das Artensterben wirklich zu stoppen, müssen wir uns gezielt den am stärksten gefährdeten Artengruppen widmen. In der Schweiz sind dies allen voran die Amphibien und Reptilien. Aktuelle Bestandsaufnahmen belegen, dass rund 75% der Schweizer Amphibien- und Reptilienarten gefährdet oder vom Aussterben bedroht sind. Dies ist der höchste Wert aller untersuchten Wirbeltiergruppen. Ihre Lebensräume – kleine Tümpel, Weiher, Auen und Moore – gehören zu den am stärksten dezimierten Lebensraumtypen der Schweiz.

Die Antwort auf die Frage « Amphibienteich oder Blumenwiese? » lautet aus Sicht des Notschutzes daher eindeutig: Der Amphibienteich hat Priorität, wenn es darum geht, die am stärksten bedrohten Arten zu retten. Das Anlegen oder Aufwerten von Kleingewässern ist eine der wirkungsvollsten Massnahmen überhaupt. Ein naturnaher Teich mit flachen Uferzonen, besonnten Bereichen und einer reichen Struktur aus Totholz und Wasserpflanzen bietet Laichplätze für Frösche, Kröten und Molche sowie Lebensraum für Libellen und viele andere an Wasser gebundene Insekten.

Die folgende Tabelle des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) verdeutlicht die dramatische Situation der Amphibien im Vergleich zu anderen Artengruppen und unterstreicht die Dringlichkeit gezielter Massnahmen.

Gefährdungsgrad ausgewählter Artengruppen in der Schweiz (Quelle: BAFU)
Artengruppe Anzahl bewertete Arten Anteil gefährdet Bereits ausgestorben
Amphibien 20 75% 0
Bienen 615 45,4% 59 (9,6%)
Brutvögel 199 40% mehrere
Fische 71 60% 9
Laufkäfer 497 50,9% mehrere

Die Daten zeigen klar: Obwohl auch bei Bienen, Fischen und Käfern hohe Gefährdungsraten bestehen, ist die Situation bei den Amphibien am prekärsten. Jede Massnahme, die neue Laichgewässer schafft und bestehende vernetzt, ist ein direkter und messbarer Beitrag zur Rettung dieser hochgradig bedrohten Tiergruppe.

Der schleichende Kollaps, den 90% der Touristen nicht sehen: Permafrost und Naturgefahren

Während der Verlust der Biodiversität im Mittelland oft sichtbar ist, spielt sich in den Alpen ein schleichender Kollaps ab, der für viele unsichtbar bleibt: das Tauen des Permafrosts. Der Permafrost ist der « ewige » Frost, der Gestein und Schutt in hohen Lagen wie ein Klebstoff zusammenhält. Durch die Klimaerwärmung taut dieser Klebstoff auf, was die Stabilität ganzer Berghänge reduziert. Die Folge sind zunehmende Murgänge, Felsstürze und Hangrutschungen. Diese Naturgefahren bedrohen nicht nur Infrastruktur und Siedlungen, sondern zerstören auch wertvolle alpine Lebensräume.

Diese Entwicklung zeigt die enge Verflechtung von Klimakrise und Biodiversitätskrise. Eine vom Weltklimarat (IPCC) und Weltbiodiversitätsrat (IPBES) gemeinsam durchgeführte Untersuchung verdeutlicht, dass viele Tiere und Pflanzen unter der Erderhitzung leiden. Sie müssen in kühlere, höhere Lagen ausweichen, was das dortige ökologische Gleichgewicht stört und den Konkurrenzdruck erhöht. Sesshafte Organismen wie viele Alpenpflanzen können nicht ausweichen und sind direkt vom Aussterben bedroht. Gleichzeitig können unkoordinierte Klimaschutzmassnahmen, wie falsch platzierte Wasserkraftwerke, die letzten intakten Flussläufe und damit die Biodiversität zusätzlich schädigen.

Es gibt jedoch auch Lösungen, die beiden Krisen gleichzeitig begegnen. Sogenannte naturbasierte Lösungen (Nature-based Solutions) nutzen die Kraft intakter Ökosysteme, um sowohl das Klima als auch die Artenvielfalt zu schützen. Die Wiedervernässung von Mooren ist hierfür ein Paradebeispiel.

Moore können als naturbasierte Lösungen fungieren – erhalten sie wieder mehr Wasser, können sie CO2 speichern und bieten wieder Lebensraum für bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Gleichzeitig helfen Moore auch beim Hochwasserschutz.

– Hans-Otto Pörtner, Alfred-Wegener-Institut im IPCC-IPBES Bericht

Der Schutz von Mooren, Gletschervorfeldern und anderen alpinen Ökosystemen ist also nicht nur Artenschutz, sondern auch ein essenzieller Beitrag zur Minderung von Naturgefahren und zur Anpassung an den Klimawandel. Die unsichtbare Bedrohung im Untergrund erfordert eine sichtbare und konsequente Schutzstrategie.

Vom Boden bis zum Teller: Welche nachhaltigen Praktiken 80% der Schweizer Höfe anwenden

Der Titel ist provokant und spiegelt eine weit verbreitete Hoffnung wider, doch die Realität sieht leider anders aus. Entgegen der Annahme, dass nachhaltige Praktiken bereits breit etabliert sind, dokumentiert eine Analyse des WWF, dass aktuell keines der 13 Umweltziele für die Landwirtschaft erreicht wird. Diese Ziele sind kein Wunschkatalog von Umweltschutzorganisationen, sondern geltendes Schweizer Umweltrecht, das unter anderem die Wasserqualität, die Bodenfruchtbarkeit und die Biodiversität sichern soll. Die intensive Produktion, insbesondere im Mittelland, führt weiterhin zu übermässigen Stickstoff- und Phosphoreinträgen, die Böden und Gewässer belasten und die Artenvielfalt reduzieren.

Dies bedeutet nicht, dass Schweizer Landwirte keine Anstrengungen unternehmen. Viele Betriebe setzen bereits auf extensive Bewirtschaftung, schaffen Biodiversitätsförderflächen oder reduzieren den Pestizideinsatz. Doch diese Massnahmen reichen auf nationaler Ebene noch nicht aus, um die negativen Trends umzukehren. Das Problem ist systemischer Natur und hängt mit agrarpolitischen Anreizen, Preisdruck und der globalen Marktausrichtung zusammen. Es besteht eine Lücke zwischen dem, was ökologisch notwendig wäre, und dem, was ökonomisch für einen einzelnen Betrieb oft machbar ist.

Um diese Lücke zu schliessen, sind Information, Beratung und Vernetzung entscheidend. Positive Beispiele zeigen, dass es ein grosses Interesse an einer biodiversitätsfreundlicheren Landwirtschaft gibt. Es braucht jedoch die richtigen Werkzeuge und die entsprechende Unterstützung.

Fallbeispiel: Die Plattform Agrinatur als Wissensdrehscheibe

Ein konkretes Instrument zur Unterstützung der Landwirte ist die Website agrinatur.ch. Diese Plattform bündelt umfassende Informationen zur Förderung der Biodiversität auf Landwirtschaftsbetrieben. Sie wird gemeinsam von führenden Institutionen wie dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), der landwirtschaftlichen Beratungszentrale AGRIDEA und der Vogelwarte Sempach betrieben. Die breite Unterstützung durch Organisationen wie IP-Suisse, Bio Suisse sowie durch das Bundesamt für Umwelt (BAFU) und das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) zeigt, dass der Bedarf an praxisnahen Informationen erkannt wurde. Die Plattform bietet Anleitungen zur Anlage und Pflege von Hecken, Blühstreifen, Hochstamm-Obstgärten und vielen weiteren Massnahmen.

Initiativen wie diese sind essenziell, um das Wissen über wirksame Praktiken zu verbreiten und Landwirte bei der Umsetzung zu unterstützen. Sie sind ein wichtiger Baustein, um der Vision einer Landwirtschaft, die sowohl produktiv ist als auch die Natur fördert, näherzukommen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Konnektivität vor Grösse: Der grösste Hebel für den Artenschutz liegt nicht in isolierten Massnahmen, sondern im Aufbau einer funktionierenden ökologischen Infrastruktur, die Lebensräume miteinander vernetzt.
  • Gezielte Massnahmen sind entscheidend: Allgemeine Förderungen sind wichtig, aber um die am stärksten bedrohten Arten wie Amphibien zu retten, sind spezifische, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Projekte (z.B. Teiche) unerlässlich.
  • Erfolg ist messbar und erfordert Engagement: Gezielte Artenförderungsprojekte zeigen nachweisliche Erfolge. Eine Trendwende erfordert jedoch ein breites gesellschaftliches Engagement, das über den Naturschutz hinausgeht und alle Sektoren einschliesst.

Umweltschutz konkret: Welche Massnahmen bewirken messbare ökologische Verbesserung?

Angesichts der Grösse der Herausforderung stellt sich die Frage: Führen unsere Anstrengungen überhaupt zu einem Ergebnis? Die Antwort ist ein klares Ja. Gezielter und konsequenter Artenschutz zeigt nachweislich Wirkung. Wo spezifische Fördermassnahmen für bedrohte Arten umgesetzt werden, erholen sich die Bestände oft signifikant. Dies beweist, dass wir nicht machtlos sind, sondern mit den richtigen Strategien eine Trendwende einleiten können.

Die Schweizerische Vogelwarte Sempach bestätigt, dass unter den Rote-Liste-Arten mit positiver Entwicklung auffallend viele sind, für die gezielte Artenförderungsprojekte laufen. Klassische Beispiele sind der Steinkauz, der von der Anlage hochstämmiger Obstgärten profitiert, der Wiedehopf, der auf strukturreiche, offene Landschaften mit Nistmöglichkeiten angewiesen ist, und der Kiebitz, dessen Bestände durch die Anlage von ungestörten, feuchten Ackerflächen gesichert werden können. Diese Erfolge sind kein Zufall, sondern das Resultat von jahrzehntelanger Forschung, praktischer Umsetzung und der Zusammenarbeit von Naturschutzorganisationen, Landwirten und Behörden.

Diese Beispiele lehren uns eine entscheidende Lektion: Während die Schaffung einer grossflächigen ökologischen Infrastruktur das strategische Fernziel sein muss, sind spezies-spezifische Notfallmassnahmen kurz- und mittelfristig unverzichtbar. Sie sind die « Intensivmedizin » des Artenschutzes. Die Kombination aus beidem – die breite Verbesserung der Landschaftsqualität und die gezielte Hilfe für die am stärksten gefährdeten Arten – ist der Schlüssel zum Erfolg. Es braucht den langen Atem für die systemische Veränderung und die schnelle, gezielte Aktion, um das Aussterben von Arten heute zu verhindern.

Letztlich hängt der Erfolg jedoch nicht nur von ökologischen Fachleuten ab, sondern von einem breiteren gesellschaftlichen Willen, wie Raffael Ayé von BirdLife Schweiz betont.

Lösungen für die Biodiversitätskrise sind möglich, wenn wir als Gesellschaft uns ernsthaft für solche Lösungen engagieren.

– Raffael Ayé, Geschäftsführer BirdLife Schweiz

Jeder Quadratmeter zählt. Ob im eigenen Garten durch das Pflanzen einheimischer Arten, auf dem Balkon mit einer Wildblumenkiste oder durch die Unterstützung von lokalen Naturschutzprojekten in Ihrer Gemeinde – jeder Beitrag hilft, die ökologische Infrastruktur der Schweiz zu stärken. Beginnen Sie noch heute damit, Teil der Lösung zu werden.

Rédigé par Sabine Keller, Sabine Keller ist dipl. Umweltingenieurin ETH mit Spezialisierung auf erneuerbare Energien und Ressourcenmanagement. Seit 16 Jahren plant und begleitet sie als Beraterin Projekte im Bereich Energieeffizienz, Photovoltaik, Gewässerschutz und Kreislaufwirtschaft. Sie ist Inhaberin eines Ingenieurbüros für nachhaltige Energielösungen und engagiert sich in Fachgremien für Klimaschutz und Biodiversitätsförderung.