
Entgegen der Annahme, dass nur Mega-Events die Wirtschaft ankurbeln, liegt die wahre ökonomische Kraft eines Festivals in der Tiefe seiner regionalen Verankerung.
- Ein kleines Festival, das lokale Anbieter und Arbeitskräfte einbindet, minimiert den Kaufkraftabfluss und maximiert die Wertschöpfung vor Ort.
- Die wirtschaftliche Nachhaltigkeit hängt weniger von der Besucherzahl als vom strategischen Mix aus Finanzierung, Risikomanagement und regionaler Integration ab.
Empfehlung: Analysieren Sie nicht nur die direkten Einnahmen, sondern die gesamte Wertschöpfungskette, um das wahre Potenzial eines Kulturevents für Ihre Region zu bewerten.
Wenn von Festivals als Wirtschaftsmotor die Rede ist, denken die meisten an die beeindruckenden Zahlen der grossen Schweizer Open-Airs: Hunderttausende Besucher, millionenschwere Budgets und eine enorme Medienpräsenz. Die Gleichung scheint einfach: Je grösser das Event, desto grösser der wirtschaftliche Nutzen für die Region. Diese Logik dominiert viele Diskussionen in Tourismusbüros und Gemeinderäten, wenn es um die Förderung von Kulturveranstaltungen geht. Die Planung konzentriert sich oft auf die Maximierung von Ticketverkäufen und die Anziehungskraft grosser Namen.
Doch diese Perspektive greift zu kurz. Sie übersieht die komplexen Wertschöpfungsketten, die hinter den Kulissen wirken. Der wahre ökonomische Fussabdruck eines Festivals wird nicht allein durch seine Grösse bestimmt, sondern durch die Tiefe seiner regionalen Verankerung. Es stellt sich die Frage: Was passiert mit jedem Franken, der auf dem Festivalgelände ausgegeben wird? Fliesst er an internationale Getränkekonzerne und externe Technikdienstleister ab oder bleibt er in der Region, bei lokalen Produzenten, Handwerkern und Vereinen?
Dieser Artikel durchbricht die oberflächliche Betrachtung und taucht tief in die ökonomische DNA von Schweizer Festivals ein. Wir werden analysieren, warum ein strategisch geplantes, kleineres Festival für eine Gemeinde profitabler sein kann als ein riesiges Event mit hohem Kaufkraftabfluss. Es geht darum, den Blick von der reinen Besucherzahl auf die entscheidenden Faktoren der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit zu lenken: die Wertschöpfungstiefe, das Risikomanagement und die kluge Positionierung im gesättigten Event-Kalender.
Anhand von konkreten Modellen und strategischen Überlegungen zeigen wir Ihnen, wie Sie das ökonomische Potenzial eines Kulturevents nicht nur messen, sondern gezielt steuern können. Der folgende Überblick führt Sie durch die zentralen Aspekte, die ein Festival von einem reinen Kulturevent zu einem nachhaltigen Wirtschaftsfaktor für eine ganze Destination machen.
Inhaltsverzeichnis: Die Ökonomie von Kulturfestivals in der Schweiz
- Warum bringt ein 5.000-Besucher-Festival der Region mehr als ein 50.000-Event?
- Von der Idee zum ausverkauften Event: Die 8 Erfolgsfaktoren nachhaltiger Festivals
- Montreux Jazz oder Theaterspektakel: Welches Festival-Format ist wirtschaftlich nachhaltiger?
- Der Wetter-GAU, der ein etabliertes Open-Air 2 Millionen CHF Verlust bescherte
- Frühling, Sommer oder Herbst: Wann ist der Markt für neue Festivals aufnahmefähig?
- 5 Millionen Besucher oder 500.000: Welches Tourismusmodell sichert langfristig Arbeitsplätze?
- Fasnacht, Museumsnacht, Weihnachtsmarkt: Der Eventkalender für 12 charmante Schweizer Städte
- Nationale Identität pflegen: Welche Rituale verbinden die viersprachige Schweiz?
Warum bringt ein 5.000-Besucher-Festival der Region mehr als ein 50.000-Event?
Auf den ersten Blick scheint die Antwort klar: Ein grosses Festival generiert mehr Umsatz und zieht mehr Touristen an. Studien untermauern diese Annahme eindrücklich. So zeigt eine Analyse der HWZ, dass internationale Grosskonzerte eine Wertschöpfung von 92,5 Millionen CHF durch nur zwei Shows erzeugen können. Diese Zahlen sind für Tourismusverantwortliche und Politiker verlockend und rechtfertigen hohe Investitionen in Infrastruktur und Marketing für Mega-Events. Doch dieser direkte Effekt ist nur ein Teil der ökonomischen Wahrheit.
Der entscheidende Faktor ist die Wertschöpfungstiefe. Sie beschreibt, welcher Anteil der Ausgaben tatsächlich in der Region verbleibt. Ein grosses Festival, das auf internationale Catering-Firmen, ausländische Technik-Crews und globale Sponsoren setzt, verursacht einen erheblichen Kaufkraftabfluss. Ein Grossteil der Einnahmen verlässt die Region sofort wieder. Im Gegensatz dazu kann ein kleineres, aber tief in der lokalen Wirtschaft verankertes Festival einen viel höheren Multiplikatoreffekt haben. Jeder Franken wird mehrmals in der Region umgesetzt – vom Festival an den lokalen Bäcker, vom Bäcker an den regionalen Müller, und so weiter.
Ein anschauliches Beispiel ist die bewusste Ausrichtung auf lokale Anbieter. Festivals wie das Gurtenfestival setzen gezielt auf regionale Gastronomie und verlangen von jedem Stand ein vegetarisches oder veganes Angebot, was oft die Zusammenarbeit mit lokalen Gemüsebauern fördert. Wenn ein Festival mit 5.000 Besuchern seine Lebensmittel, Getränke, Sicherheitsdienste und Handwerker fast ausschliesslich aus dem eigenen Kanton bezieht, können die indirekten und induzierten Effekte – also die nachgelagerten Umsätze bei Zulieferern und die Ausgaben der Angestellten – die eines 50.000-Besucher-Events mit globaler Lieferkette übertreffen. Es geht nicht darum, wie viel Geld hereinkommt, sondern wie viel davon bleibt und zirkuliert.
Von der Idee zum ausverkauften Event: Die 8 Erfolgsfaktoren nachhaltiger Festivals
Ein wirtschaftlich erfolgreiches und nachhaltiges Festival entsteht nicht durch Zufall. Es ist das Ergebnis strategischer Planung und harter Arbeit, die weit über die Buchung eines bekannten Headliners hinausgeht. Die Herausforderungen sind immens, wie Lena Fischer vom Gurtenfestival in einem Interview mit dem Blick betont:
Die Herausforderungen für Veranstalter sind vielschichtig: Inflation, überall steigende Preise, Wetterphänomene, die Nachwirkungen von Covid und das Kaufverhalten der Besuchenden. Wir arbeiten ein ganzes Jahr lang, der Erfolg des Festivals entscheidet sich jedoch in unserem Fall in vier Tagen.
– Lena Fischer, Gurtenfestival, im Blick Interview 2024
Diese Unsicherheiten erfordern ein robustes Fundament. Der Erfolg basiert auf einer Reihe von Schlüsselfaktoren, die sowohl die finanzielle Stabilität als auch die soziale und ökologische Nachhaltigkeit sichern. Es geht um einen intelligenten Mix, der die spezifischen Stärken des Schweizer Kontextes, wie die ausgeprägte Vereinskultur und die föderale Förderlandschaft, nutzt.

Die sorgfältige Orchestrierung dieser Faktoren ist das, was ein einmaliges Event von einer langlebigen Kulturinstitution unterscheidet. Die folgende Checkliste fasst die acht entscheidenden Bereiche zusammen, die jeder Festivalorganisator und jede Tourismusbehörde im Auge behalten muss, um nicht nur kulturellen, sondern auch nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg zu generieren.
Ihr Aktionsplan: Die 8 Säulen für ein wirtschaftlich nachhaltiges Festival
- Finanzierungsmix meistern: Kombinieren Sie öffentliche Gelder von Bund, Kantonen und Gemeinden strategisch mit privatem Sponsoring und Ticketeinnahmen, um finanzielle Abhängigkeiten zu reduzieren.
- Ehrenamtlichkeit als strategisches Kapital: Nutzen Sie die starke Schweizer Vereinskultur und das Engagement von Freiwilligen nicht nur zur Kostensenkung, sondern auch zur Stärkung der sozialen Nachhaltigkeit und der lokalen Identifikation.
- Nachhaltigkeit zertifizierbar machen: Implementieren Sie konkrete ökologische Massnahmen (z.B. Abfallmanagement, Anreize für ÖV-Anreise) und lassen Sie diese durch Programme wie « Cause We Care » zertifizieren, um Glaubwürdigkeit und Sponsorenattraktivität zu erhöhen.
- Festival-Dichte analysieren: Vermeiden Sie die gesättigten Sommermonate. Prüfen Sie gezielt Chancen in der Nebensaison (Schulter-Saison), um Konkurrenzdruck zu minimieren und die touristische Auslastung zu verbessern.
- Synergien mit dem Brauchtumskalender schaffen: Koppeln Sie Ihr Event an bestehende traditionelle Anlässe (z.B. Alpabzug, Winzerfest), um bereits vorhandene touristische Aufmerksamkeit zu nutzen und die Authentizität zu steigern.
- Risikomanagement etablieren: Sichern Sie sich gegen unvorhersehbare Ereignisse ab. Prüfen Sie Event-Ausfallversicherungen für Wetterrisiken und verhandeln Sie mit dem Kanton über mögliche Ausfallbürgschaften.
- Regionale Verankerung sichern: Binden Sie systematisch lokale Anbieter für Gastronomie, Handwerk und Dienstleistungen ein, um die Wertschöpfung in der Region zu maximieren und den Kaufkraftabfluss zu minimieren.
- Digitale Einnahmequellen erschliessen: Entwickeln Sie über das physische Event hinaus digitale Angebote wie bezahltes Streaming von Konzerten, exklusive Online-Inhalte oder digitale Kunstprojekte, um neue Zielgruppen und Umsatzströme zu generieren.
Montreux Jazz oder Theaterspektakel: Welches Festival-Format ist wirtschaftlich nachhaltiger?
Die Schweizer Festivallandschaft ist vielfältig und reicht von global ausstrahlenden Leuchttürmen bis hin zu fest in der Region verankerten Kulturperlen. Beide Modelle haben ihre Berechtigung, folgen aber fundamental unterschiedlichen ökonomischen Logiken. Die gesamte Schweizer Veranstaltungsbranche ist ein bedeutender Wirtschaftszweig; allein die Swiss Music Promotors Association verzeichnete für 2022 einen Bruttoumsatz von 382 Millionen CHF. Doch wie wird dieser Umsatz generiert und wie nachhaltig sind die zugrundeliegenden Geschäftsmodelle?
Auf der einen Seite stehen global skalierbare Events wie das Montreux Jazz Festival. Ihr Modell basiert auf internationaler Reichweite, hohen Besucherzahlen und diversifizierten Einnahmequellen, die weit über das Ticketing hinausgehen, wie internationale Lizenzen und Medienrechte. Auf der anderen Seite finden sich Formate wie das Zürcher Theaterspektakel, deren Stärke in der regionalen Verankerung und der Erfüllung eines kantonalen Kulturauftrags liegt. Ihre wirtschaftliche Stabilität wird oft durch eine solide öffentliche Förderung gesichert.
Die Frage nach der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit ist daher keine Frage von « besser » oder « schlechter », sondern von strategischer Ausrichtung und Resilienz gegenüber Krisen, wie die folgende vergleichende Analyse der Modelle zeigt.
| Aspekt | Globale Festivals (z.B. Montreux Jazz) | Lokale Festivals (z.B. Theaterspektakel) |
|---|---|---|
| Besucherzahlen | International, 250.000+ | Regional, 50.000-100.000 |
| Einnahmequellen | Internationale Lizenzen, Medienrechte, Streaming | Lokale Tickets, kantonale Förderung |
| Wirtschaftliche Reichweite | Global skalierbar | Regional verankert |
| Resilienz | Stärker abhängig von globalen Märkten und Sponsoren | Stabiler durch öffentliche Förderungsanteile |
| Kultureller ROI | Internationale Ausstrahlung und Markenbildung für die Schweiz | Erfüllung des lokalen Kulturauftrags und Stärkung der regionalen Identität |
Während globale Festivals eine immense internationale Sichtbarkeit schaffen, sind sie auch anfälliger für globale Wirtschaftsschwankungen und Veränderungen im Sponsoring-Markt. Regional verankerte Festivals mit einem starken öffentlichen Förderanteil zeigen sich hier oft resilienter, ihre Skalierbarkeit ist jedoch begrenzt. Für eine Region ist die Mischung beider Formate ideal: Ein Leuchtturm-Event für die internationale Ausstrahlung, ergänzt durch ein dichtes Netz kleinerer, lokal verwurzelter Anlässe, die eine konstante, resiliente Wertschöpfung garantieren.
Der Wetter-GAU, der ein etabliertes Open-Air 2 Millionen CHF Verlust bescherte
Stellen Sie sich vor: Ein etabliertes Open-Air-Festival, seit Monaten ausverkauft, die Infrastruktur steht. Doch 48 Stunden vor Beginn zieht eine Unwetterfront auf, die eine Durchführung unmöglich macht. Die Absage führt zu einem Verlust von zwei Millionen Franken. Dieses Szenario ist für jeden Veranstalter ein Albtraum und illustriert das grösste unkalkulierbare Risiko der Branche: das Wetter. Gerade in der Schweiz mit ihrer alpinen Topografie können Wetterlagen schnell umschlagen und die sorgfältigste Planung zunichtemachen.
Das finanzielle Risiko geht dabei weit über entgangene Ticketeinnahmen hinaus. Hohe Vorlaufkosten für Künstlergagen, Technik, Personal und Marketing sind bereits ausgegeben. Ohne eine Absicherung kann ein einziges verregnetes Wochenende ein finanziell gesundes Festival in den Ruin treiben. Ein professionelles Risikomanagement ist daher kein « Nice-to-have », sondern ein überlebenswichtiger Bestandteil des Geschäftsmodells.

Neben dem Wetter gibt es weitere erhebliche Risiken: das Nichterscheinen eines Headliners wegen Krankheit, der Ausfall der Stromversorgung oder die Nichtverfügbarkeit des Geländes aufgrund von unvorhergesehenen Ereignissen wie einem Brand. Glücklicherweise gibt es spezialisierte Instrumente, um diese Risiken zu mitigieren.
Fallbeispiel: Absicherung durch Event-Ausfallversicherungen
Spezialisierte Versicherer in der Schweiz wie TSM (Tourism & Service Management) bieten massgeschneiderte Event-Ausfallversicherungen an. Diese können eine breite Palette von Risiken abdecken. Dazu gehören explizit widrige Wetterbedingungen bei Open-Air-Veranstaltungen, welche die Durchführung verunmöglichen. Aber auch andere Szenarien wie die Nichtverfügbarkeit des Veranstaltungsortes durch Feuer oder Wasserschaden oder das plötzliche Nichterscheinen des gebuchten Star-Entertainers können versichert werden. Die Prämie berechnet sich nach der Versicherungssumme (die den potenziellen Gesamtschaden abdeckt) und der spezifischen Risikobewertung des Events. Für einen Organisator ist dies eine strategische Investition in die finanzielle Stabilität.
Ein proaktives Risikomanagement, das den Abschluss adäquater Versicherungen und die Ausarbeitung von Notfallplänen umfasst, ist ein Zeichen von Professionalität, das nicht nur die Existenz des Festivals sichert, sondern auch das Vertrauen von Sponsoren, Behörden und Besuchern stärkt.
Frühling, Sommer oder Herbst: Wann ist der Markt für neue Festivals aufnahmefähig?
Die Wahl des richtigen Zeitpunkts ist für den Erfolg eines neuen Festivals ebenso entscheidend wie das Programm oder das Budget. Insbesondere der Schweizer Sommermarkt ist extrem kompetitiv. Eine Analyse der Festivallandschaft zeigt, dass allein in den Sommermonaten 2024 rund 140 Festivals stattfinden. An manchen Wochenenden konkurrieren über zehn Events gleichzeitig um Besucher, Sponsoren und Medienaufmerksamkeit. In diesem gesättigten Umfeld ist es für einen neuen Akteur fast unmöglich, ohne ein massives Marketingbudget und ein absolut einzigartiges Konzept zu bestehen.
Die strategische Chance liegt daher oft ausserhalb der Hochsaison. Der Frühling und der Herbst, die sogenannten Schulter-Saisons, bieten erhebliches Potenzial. In diesen Zeiträumen ist nicht nur die Konkurrenzdichte geringer, sondern es besteht auch die Möglichkeit, die touristische Saison in einer Region gezielt zu verlängern. Ein Kulturfestival im Mai oder Oktober kann Hotels, Restaurants und lokale Geschäfte in einer ansonsten ruhigeren Zeit beleben und so eine hohe zusätzliche Wertschöpfung generieren.
Eine kluge Strategie ist die sogenannte touristische Gegenprogrammierung. Anstatt mit anderen Festivals zu konkurrieren, kann ein Event eine Lücke im Kalender füllen und so zur Hauptattraktion werden. Grosse Sportveranstaltungen oder internationale Kongresse zeigen, wie es funktioniert: Events wie der Eurovision Song Contest oder die Fussball-Europameisterschaft der Frauen werden gezielt als Treiber für die touristische Entwicklung eingesetzt, um zusätzliche Logiernächte und Ausgaben ausserhalb der traditionellen Ferienzeiten zu generieren. Dieses Prinzip lässt sich auch auf Kulturfestivals anwenden. Ein gut platziertes Food-Festival im Herbst oder ein Lichtkunst-Festival im späten Frühling kann eine Destination profilieren und eine neue Zielgruppe ansprechen.
Die Entscheidung für den Termin sollte daher das Ergebnis einer sorgfältigen Marktanalyse sein. Es gilt, die bestehende « Festival-Dichte » zu evaluieren und gezielt nach Nischen im Kalender zu suchen. Ein neues Festival ist dann am erfolgreichsten, wenn es nicht einfach ein weiteres Angebot im Sommer ist, sondern eine bewusste Bereicherung des regionalen Event-Jahres.
5 Millionen Besucher oder 500.000: Welches Tourismusmodell sichert langfristig Arbeitsplätze?
Die Diskussion um die Grösse von Festivals spiegelt eine fundamentalere Frage im Schweizer Tourismus wider: Setzen wir auf Masse oder auf Klasse? Ein Tourismusmodell, das einzig auf die Maximierung der Besucher- und Logiernächtezahlen abzielt, birgt erhebliche Risiken. Es führt zu einer Überlastung der Infrastruktur, steigenden Preisen für Einheimische und einer « Disneyfizierung » von Destinationen. Kurzfristig mögen die Umsätze steigen, doch langfristig leidet die Aufenthaltsqualität, und es werden primär saisonale, oft prekäre Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor geschaffen.
Demgegenüber steht ein qualitätsorientiertes Tourismusmodell. Dieses fokussiert nicht auf die reine Anzahl der Gäste, sondern auf deren durchschnittliche Ausgaben, die Aufenthaltsdauer und die Interaktion mit der lokalen Wirtschaft. Ein Festival, das 500.000 Besucher anzieht, die aber nur für einen Tag bleiben und ihr Geld hauptsächlich bei internationalen Ketten ausgeben, kann für eine Region weniger wertvoll sein als ein Nischen-Event mit 50.000 Besuchern, die eine Woche bleiben, in lokalen Hotels übernachten, in regionalen Restaurants essen und handgefertigte Souvenirs kaufen.
Der Schlüssel zur Sicherung langfristiger Arbeitsplätze liegt in der Förderung eines ökonomischen Ökosystems. Ein qualitätsorientiertes Kulturangebot stimuliert die Nachfrage nach hochwertigen Dienstleistungen. Es braucht gut ausgebildete Hoteliers, kreative Gastronomen, spezialisierte Handwerker und Kulturvermittler. Diese Arbeitsplätze sind ganzjährig, besser entlohnt und tragen zur Stärkung der regionalen Kompetenz bei. Anstatt nur auf den Bau von Bettenburgen zu setzen, investiert dieses Modell in die Ausbildung von Fachkräften und die Unterstützung von lokalen KMU.
Für eine Tourismusdestination bedeutet dies eine strategische Entscheidung: Will man zum austauschbaren Ziel für Massentourismus werden oder sich als einzigartiger Ort mit authentischen Erlebnissen und einer hohen Lebensqualität für Einheimische und Gäste positionieren? Festivals und Kulturevents sind hier ein entscheidender Hebel. Sie können entweder als Beschleuniger für den Massenmarkt oder als Anker für eine nachhaltige, wertschöpfungsintensive Entwicklung dienen.
Fasnacht, Museumsnacht, Weihnachtsmarkt: Der Eventkalender für 12 charmante Schweizer Städte
Die ökonomische Kraft von Kulturevents in der Schweiz beschränkt sich keineswegs auf die grossen Musikfestivals im Sommer. Ein Blick auf den prall gefüllten Jahreskalender offenbart eine immense Vielfalt an Veranstaltungen, die tief im lokalen Brauchtum und der städtischen Kultur verankert sind. Diese Events sind oft die wahren, stillen Wirtschaftsmotoren, da sie authentisch sind, über Jahre gewachsen sind und eine extrem hohe regionale Wertschöpfung aufweisen.
Von Januar bis Dezember pulsiert das kulturelle Leben in den Städten und sorgt für eine kontinuierliche Belebung von Hotellerie, Gastronomie und Detailhandel. Hier einige Beispiele, die die Vielfalt illustrieren:
- Basel: Die Basler Fasnacht, ein UNESCO-Weltkulturerbe, versetzt die ganze Stadt für drei Tage in einen Ausnahmezustand und zieht Hunderttausende Besucher an, die die Cliquen, Guggenmusiken und Schnitzelbänke erleben wollen.
- Luzern: Das LUCERNE FESTIVAL bringt mehrmals im Jahr die Weltelite der klassischen Musik in die Leuchtenstadt und spricht ein kaufkräftiges, internationales Publikum an.
- Genf: Die Fêtes de Genève im Sommer und die historische L’Escalade im Dezember sind feste Bestandteile des städtischen Lebens und wichtige touristische Anziehungspunkte.
- Bern: Die Museumsnacht im Frühling und der traditionsreiche Zibelemärit (Zwiebelmarkt) im November zeigen, wie spezifische Themen-Events eine ganze Stadt mobilisieren können.
- Montreux: Neben dem Jazzfestival hat sich die Stadt mit Montreux Noël zu einer der führenden Weihnachtsdestinationen der Schweiz entwickelt, was die Wintersaison entscheidend belebt.
Was diese und viele weitere Events in Städten wie Zürich (Sechseläuten, Theaterspektakel), Lausanne (Festival de la Cité), St. Gallen (OLMA) oder Lugano (Lugano Estival) gemeinsam haben, ist ihre organische Integration in das städtische Gefüge. Sie sind keine « Raumschiffe », die für ein Wochenende landen, sondern Ausdruck der lokalen Identität. Dies führt zu einer hohen Akzeptanz in der Bevölkerung und einer natürlichen Einbindung lokaler Vereine, Geschäfte und Dienstleister. Genau diese Symbiose macht sie wirtschaftlich so resilient und nachhaltig.
Das Wichtigste in Kürze
- Die wahre ökonomische Kraft eines Festivals misst sich nicht an der Besucherzahl, sondern an der Tiefe seiner regionalen Wertschöpfungskette.
- Nachhaltiger Erfolg basiert auf einem strategischen Mix aus diversifizierter Finanzierung, professionellem Risikomanagement und einer klugen Positionierung im Event-Kalender.
- Die stärksten und resilientesten Kulturevents sind oft jene, die organisch aus dem lokalen Brauchtum und der städtischen Identität erwachsen sind.
Nationale Identität pflegen: Welche Rituale verbinden die viersprachige Schweiz?
Ein Festival rein als Wirtschaftsmotor zu betrachten, würde seiner tiefsten Funktion nicht gerecht. Kulturelle Veranstaltungen sind weit mehr als nur Generatoren von Umsatz und Logiernächten. In einem Land wie der Schweiz, das durch seine Viersprachigkeit und seine ausgeprägten regionalen Identitäten geprägt ist, spielen sie eine entscheidende Rolle als sozialer Kitt. Sie sind die modernen Rituale, die Menschen über den « Röstigraben » und andere kulturelle Grenzen hinweg verbinden.
Ob es die Fête des Vignerons in Vevey ist, die nur einmal pro Generation stattfindet und die ganze Nation anzieht, ein Eidgenössisches Schwing- und Älplerfest, das urbane und ländliche Schweiz zusammenbringt, oder ein nationales Filmfestival in Solothurn oder Locarno, das dem Schweizer Filmschaffen eine gemeinsame Bühne gibt – diese Anlässe schaffen ein Gefühl der Zugehörigkeit und des gemeinsamen Erlebens. Sie sind Plattformen, auf denen nationale Mythen und Werte verhandelt, gefeiert und neu interpretiert werden. In einer zunehmend globalisierten Welt bieten sie Ankerpunkte der Identität.
Für Organisatoren und Kulturpolitiker bedeutet dies, dass der « Return on Investment » nicht nur in Franken gemessen werden kann. Der kulturelle und soziale ROI ist mindestens ebenso wichtig. Ein Festival, das es schafft, ein starkes Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen und die lokale Bevölkerung stolz zu machen, hat eine viel höhere Überlebenschance und generiert langfristig mehr Wert – auch ökonomischen – als ein Event, das als Fremdkörper wahrgenommen wird. Die Pflege der nationalen und regionalen Identität ist kein Kostenfaktor, sondern eine Investition in das wichtigste Kapital der Schweiz: ihren kulturellen Reichtum und ihren gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Für Festivalorganisatoren, Tourismusverantwortliche und Kulturpolitiker besteht der nächste logische Schritt darin, die eigene Strategie zu überprüfen und das volle Potenzial der regionalen Wertschöpfung gezielt zu erschliessen. Bewerten Sie Ihre Events nicht nur nach Besucherzahlen, sondern nach ihrer Fähigkeit, lokale Wirtschaftskreisläufe zu stärken und die kulturelle Identität Ihrer Destination nachhaltig zu prägen.