Publié le 10 mai 2024

Die wahrgenommene Unzugänglichkeit von Schweizer Gegenwartskunst liegt weniger im Werk selbst, sondern im Unverständnis für das komplexe Ökosystem, das sie hervorbringt.

  • Der Wert eines Kunstwerks wird nicht nur durch den Preis, sondern massgeblich durch die Validierung von Museen und Kuratoren im Schweizer Fördersystem bestimmt.
  • Künstlerische Visionen entstehen in einem permanenten Spannungsfeld zwischen grosszügiger staatlicher Kulturförderung und dem Druck eines globalisierten Kunstmarktes.

Empfehlung: Um ein Werk zu verstehen, betrachten Sie seinen Entstehungskontext – ob etabliertes Kunsthaus oder alternative Zwischennutzung – und die systemischen Kräfte, die darauf einwirken.

Viele Betrachter stehen vor einem Werk der Gegenwartskunst und fühlen sich ratlos. Die Formen wirken willkürlich, die Botschaft verschlüsselt, die Absicht provokant. Schnell kommen die üblichen Erklärungsversuche auf: Kunst sei eben subjektiv, man müsse die Biografie des Künstlers kennen oder es gehe nur darum, zu schockieren. Diese Ansätze greifen jedoch zu kurz, insbesondere in einem so dichten und vielschichtigen Kulturraum wie der Schweiz. Die Irritation, die zeitgenössische Kunst auslöst, ist selten reiner Selbstzweck. Sie ist vielmehr ein Symptom, ein Spiegel der komplexen Bedingungen, unter denen sie entsteht.

Um die Schweizer Kunstszene wirklich zu verstehen, müssen wir unseren Blickwinkel ändern. Statt nur zu fragen « Was bedeutet dieses Werk? », lautet die zielführendere Frage: « Welches System hat dieses Werk hervorgebracht und warum sieht es so aus? ». Die Antwort liegt im einzigartigen Schweizer Kunst-Ökosystem: einem dynamischen Zusammenspiel von staatlicher Förderung, potenten Institutionen, einem globalisierten Markt und den Künstlern, die in diesem Spannungsfeld navigieren. Die Provokation ist oft keine blosse Geste, sondern eine tiefgründige Auseinandersetzung mit genau diesen Mechanismen – von der Logik der Fördergelder bis zum Druck der Galerien.

Dieser Artikel entschlüsselt dieses Ökosystem. Wir werden untersuchen, wie Schweizer Künstler arbeiten, wo relevante Kunst entsteht und welche Kräfte ihre Visionen formen. Indem wir die Logik hinter der Kunstproduktion verstehen, wird das scheinbar Unverständliche nachvollziehbar und die Provokation entfaltet ihre eigentliche, gesellschaftskritische Wirkung. So wird aus einem Konsumenten von Kultur ein aktiver Teil der Debatte.

Die folgende Gliederung führt Sie durch die zentralen Aspekte des Schweizer Kunst-Ökosystems und zeigt Ihnen, wie Sie selbst zu einem aktiven Teil dieser faszinierenden Kulturlandschaft werden können.

Warum finden 60% der Schweizer zeitgenössische Kunst « nicht nachvollziehbar »?

Die oft zitierte Kluft zwischen der Öffentlichkeit und der zeitgenössischen Kunst fusst auf einem fundamentalen Missverständnis über deren Wertdefinition. In einer Marktwirtschaft wird Wert oft mit Preis gleichgesetzt. Ein Kunstwerk scheint dann « gut », wenn es teuer ist. Doch gerade im Schweizer Kunst-Ökosystem gelten andere Regeln. Dieser Sektor ist wirtschaftlich bedeutend, wie Umsatzerlöse von 17,1 Milliarden CHF in der Kunst-, Unterhaltungs- und Erholungsbranche im Jahr 2024 zeigen. Dennoch gehorcht die Wertschöpfung nicht allein den Gesetzen des freien Marktes.

Der entscheidende Faktor ist die institutionelle Validierung. Ein Kunstwerk erlangt Relevanz und damit auch langfristigen Wert, wenn es von Kuratoren ausgewählt, in renommierten Institutionen ausgestellt und von wichtigen Sammlungen angekauft wird. Diese « Validierungslogik » priorisiert oft konzeptuelle Stärke, gesellschaftliche Relevanz und innovative Kraft über rein ästhetische Gefälligkeit oder kommerzielles Potenzial. Das Publikum, das nach traditionellen Kriterien wie Schönheit oder handwerklichem Geschick sucht, fühlt sich daher oft ausgeschlossen.

Diese Dynamik wird im BILANZ-Künstlerrating treffend zusammengefasst. Wie das Magazin betont, ist nicht der direkte Verkauf entscheidend:

Verkäufe sind nicht die einzige Währung im Kunstsystem, entscheidend für sie ist die Validierung von Museen, Kuratoren und von Sammlern.

– BILANZ-Künstler-Rating, BILANZ Magazin

Ein Werk, das provoziert oder irritiert, kann in diesem System einen hohen Stellenwert haben, weil es einen wichtigen Diskurs anstösst. Für den unvorbereiteten Betrachter bleibt diese Ebene jedoch unsichtbar. Die gefühlte Unverständlichkeit ist also weniger ein Versäumnis des Publikums als eine Folge der komplexen, nicht rein kommerziellen Wertschöpfungskette, die das Schweizer Kunst-Ökosystem prägt.

Von der Idee zur Installation: Wie arbeiten Schweizer Gegenwartskünstler?

Das romantische Bild des einsamen Genies, das im stillen Kämmerlein auf die göttliche Inspiration wartet, hat mit der Realität der meisten Schweizer Kunstschaffenden wenig zu tun. Der künstlerische Prozess ist heute vielmehr eine Mischung aus konzeptueller Forschung, materieller Erprobung und unternehmerischem Handeln. Es ist Arbeit – oft harte und prekäre Arbeit. Eine Analyse des Bundesamtes für Statistik zeichnet ein nüchternes Bild: Von den rund 300.000 Kulturschaffenden in der Schweiz arbeiten mehr als die Hälfte in Teilzeit, oft um ihr künstlerisches Schaffen querzufinanzieren.

Der Weg von der ersten Idee bis zur fertigen Installation ist selten linear. Er beginnt oft mit einer intensiven Auseinandersetzung mit einem Thema – sei es gesellschaftlich, politisch oder rein formal. Darauf folgen Phasen des Experimentierens mit Materialien, Techniken und Medien. Ein Künstler wie Pipilotti Rist, die international für ihre synästhetischen Videoräume bekannt ist, arbeitet mit grossen Teams aus Technikern und Handwerkern, um ihre immersiven Welten zu realisieren. Ihre Arbeit ist das Resultat von Planung, Koordination und technologischer Expertise.

Dieser Prozess findet in einem physischen Raum statt, dem Atelier, das sowohl Labor als auch Produktionsstätte ist.

Künstleratelier mit Materialien, Werkzeugen und unfertigen Skulpturen in natürlichem Licht

Wie die visuelle Darstellung eines Ateliers zeigt, ist der Schaffensprozess ein taktiler und materieller Vorgang. Hier werden Konzepte in Form gebracht, Ideen getestet und verworfen. Gleichzeitig müssen Künstler heute auch Manager ihrer eigenen Karriere sein: Sie schreiben Anträge für Fördergelder, pflegen Netzwerke zu Galeristen und Kuratoren und dokumentieren ihre Arbeit für Portfolios und die digitale Präsenz. Die künstlerische Arbeit ist somit untrennbar mit den administrativen und ökonomischen Realitäten des Kunst-Ökosystems verbunden.

Kunsthaus oder Zwischennutzung: Wo entsteht relevante Gegenwartskunst?

Die Frage nach dem « Wo » ist im Schweizer Kunst-Ökosystem von zentraler Bedeutung, denn der Ort der Präsentation ist untrennbar mit der Bedeutung und dem Status eines Werkes verknüpft. Die Schweiz verfügt über eine der dichtesten Museumslandschaften der Welt, mit über 1.100 Museen auf engstem Raum, darunter allein 44 in Zürich und 26 in Basel. Diese Institutionen, von grossen Kunsthäusern bis zu kantonalen Museen, sind die primären Orte der Validierung. Eine Ausstellung in einem solchen Haus ist ein Ritterschlag, der ein Werk in den Kanon der Kunstgeschichte einschreibt.

Doch die relevante Kunst von morgen entsteht oft nicht in diesen etablierten Hallen, sondern an deren Rändern: in Off-Spaces, Produzentengalerien und temporären Zwischennutzungen. Diese alternativen Räume bieten Künstlern die Freiheit, zu experimentieren, Risiken einzugehen und Werke zu schaffen, die für den kommerziellen Galeriebetrieb oder das grosse Museum (noch) nicht geeignet sind. Hier findet der eigentliche « Laborbetrieb » der Kunstszene statt. Es sind Orte des Austauschs, der Vernetzung und der kritischen Auseinandersetzung, die oft mit minimalen Budgets, aber maximalem Engagement betrieben werden.

Die professionelle Organisation dieses Feldes zeigt sich in Netzwerken wie dem Verein Schweizer Institutionen für zeitgenössische Kunst (VSIZK/AISAC). Dieser Zusammenschluss von 41 Kunsthallen und Institutionen, die sich primär der Gegenwartskunst widmen, schafft eine Plattform für den Austausch und formuliert gemeinsame kulturpolitische Anliegen. Er macht deutlich, dass die Szene aus einem diversifizierten Netzwerk besteht, in dem etablierte und alternative Orte in einer symbiotischen Beziehung stehen: Die Off-Spaces sind die Talentschmieden für die grossen Häuser, während die Museen den experimentellen Arbeiten langfristig Legitimität und Sichtbarkeit verleihen.

Für den Betrachter bedeutet dies: Wer die Gegenwartskunst in ihrer Entstehung begreifen will, muss seinen Blick über die grossen Namen und Institutionen hinaus erweitern und die dynamische Szene der Projekträume und alternativen Ausstellungsorte entdecken. Dort pulsiert das Herz der künstlerischen Innovation.

Wenn Galerien-Druck künstlerische Vision zur Ware macht

Jede künstlerische Vision, so autonom sie auch sein mag, existiert in einem ökonomischen Rahmen. Dieses Spannungsfeld zwischen künstlerischer Freiheit und kommerziellen Zwängen ist nirgends so spürbar wie in der Beziehung zwischen Künstler und Galerie. Galerien sind kommerzielle Unternehmen, die vom Verkauf von Kunst leben. Sie investieren in Künstler, bauen deren Karrieren auf und präsentieren sie auf internationalen Messen wie der Art Basel. Dieser Mechanismus ist ein entscheidender Motor des Kunstmarktes. Der globale Kunstmarkt, der laut Art Basel & UBS Art Market Report einen Umsatz von 57,5 Milliarden Dollar im Jahr 2024 verzeichnete, übt einen enormen Druck aus, wiedererkennbare und verkäufliche Werke zu produzieren.

Für Künstler kann dies bedeuten, einen « Signature Style » zu entwickeln, der am Markt gut funktioniert, was jedoch die experimentelle Freiheit einschränken kann. Die Erwartung, regelmässig neue Werke für Ausstellungen und Messen zu liefern, erzeugt einen Produktionsdruck, der der oft langsamen, forschungsbasierten Entwicklung von Ideen entgegensteht. Hier entsteht das Kernparadox des Kunstmarktes: Er fördert Künstler und schränkt sie zugleich ein.

Genau an diesem Punkt wird die Besonderheit des Schweizer Kunst-Ökosystems sichtbar. Es bietet ein starkes Gegengewicht zum reinen Marktdruck. Die Galeristin Jiajia Zhang formulierte es in einem Interview treffend:

Von all den Orten, die ich kenne, hat die Schweiz eines der besten Fördersysteme in der Kunst. Es gibt vom Bund bis in die kleine Gemeinde Förder- und Kulturanlaufstellen.

– Jiajia Zhang, BILANZ Interview 2024

Dieses dichte Netz aus Stipendien, Projektbeiträgen, Atelierstipendien und Ankäufen durch die öffentliche Hand ermöglicht es Künstlern, Phasen der Forschung und des Experiments zu finanzieren, die kommerziell nicht unmittelbar rentabel sind. Es schafft Freiräume, in denen künstlerische Visionen reifen können, bevor sie sich dem Markt stellen müssen. Die Provokation in einem Werk kann somit auch als bewusste Abgrenzung von der Gefälligkeit des Marktes gelesen werden – ein Akt der künstlerischen Selbstbehauptung, ermöglicht durch das duale System aus Markt und Förderung.

Gefeierte Namen oder Newcomer: Wen unterstützen mit begrenzten Kulturbudgets?

Die grosszügige Kulturförderung in der Schweiz ist ein Grundpfeiler des Kunst-Ökosystems, doch die zur Verfügung stehenden Mittel sind endlich. Dies führt unweigerlich zu einer zentralen und oft kontrovers diskutierten Frage: Wer soll von den begrenzten Kulturbudgets profitieren? Sollen die Mittel in gefeierte, international anerkannte Namen investiert werden, die als kulturelle Aushängeschilder der Schweiz fungieren und ein breites Publikum anziehen? Oder soll der Fokus auf der Förderung von aufstrebenden Newcomern und der experimentellen Basis liegen, die das Risiko des Scheiterns in sich birgt, aber für die Innovation unerlässlich ist?

Diese Entscheidung ist keine rein künstlerische, sondern auch eine wirtschaftliche und politische. Der Kultursektor ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Mit 67.313 Unternehmen und einer Wertschöpfung von 16,3 Milliarden CHF ist er ein wichtiger Arbeitgeber. Die Investition in etablierte Künstler und Institutionen sichert Arbeitsplätze und generiert Tourismus, wie die Besucherzahlen grosser Ausstellungen belegen. Die Förderung von Newcomern hingegen ist eine Investition in die Zukunft, deren « Return on Investment » ungewiss ist.

Die Entscheidungen über die Vergabe von Fördergeldern werden von Jurys getroffen, die sich aus Experten, Künstlern und Kulturmanagern zusammensetzen. Ihre Aufgabe ist es, eine Balance zu finden.

Abstrakte Darstellung einer Entscheidungssituation mit geometrischen Formen und Lichtkontrasten

Die abstrakte Darstellung einer solchen Entscheidungssituation verdeutlicht das Dilemma: Welche Projekte werden ins « Scheinwerferlicht » gerückt und welche bleiben im Verborgenen? Diese Auswahlprozesse sind Teil der Validierungslogik des Systems. Eine Förderung ist nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch ein starkes Signal der Anerkennung, das Türen zu Galerien und Museen öffnen kann. Das Ringen um diese Balance – zwischen der Pflege des Bestehenden und der Wagnis des Neuen – ist eine der zentralen produktiven Spannungen, die das Schweizer Kunst-Ökosystem vital und dynamisch halten.

Oper oder Strassenkunst: Welche Kulturform spricht Ihre Generation an?

Die Diskussion über Gegenwartskunst findet oft in einem vermeintlichen Gegensatz zwischen « Hochkultur » und « Subkultur » statt. Auf der einen Seite stehen etablierte Institutionen wie Opernhäuser und grosse Kunstmuseen, die mit Tradition und hohen Besucherzahlen assoziiert werden – allein das Kunsthaus Zürich verzeichnete 2022 rund 555.500 Besuche. Auf der anderen Seite stehen ephemere, zugänglichere Formen wie Street Art, digitale Kunst oder Performances im öffentlichen Raum, die scheinbar direkter den Nerv der Zeit treffen. Doch diese Trennung ist zunehmend künstlich, denn gerade die relevantesten Kulturinstitutionen agieren heute an den Schnittstellen.

Sie öffnen sich für neue Formate, diverse Perspektiven und gesellschaftlich brennende Themen. Sie werden zu Orten des Diskurses, die weit über die reine Präsentation von Kunst hinausgehen. Anstatt also zu fragen, ob man die Oper *oder* die Strassenkunst bevorzugt, lautet die spannendere Frage: Wo finden die interessantesten Überschneidungen statt? Wo nutzen etablierte Häuser ihre Reichweite, um progressive und kritische Inhalte einem breiten Publikum zugänglich zu machen?

Fallbeispiel: « When We See Us » im Kunstmuseum Basel

Ein herausragendes Beispiel für diese Entwicklung war die Ausstellung « When We See Us – A Century of Black Figuration in Painting » im Kunstmuseum Basel 2024. Ursprünglich im Zeitz MOCAA in Kapstadt konzipiert, brachte das Basler Museum diese bahnbrechende Schau mit Werken von 156 Künstlern nach Europa. Die Ausstellung bot nicht nur ein umfassendes Panorama schwarzer figurativer Malerei des letzten Jahrhunderts, sondern schuf auch einen Raum für Debatten über Repräsentation, Identität und Kolonialgeschichte. Hier nutzte eine klassische Institution ihre Mittel und ihre Reputation, um einer oft marginalisierten Perspektive eine monumentale Bühne zu geben und damit den kulturellen Kanon aktiv zu hinterfragen und zu erweitern.

Dieses Beispiel zeigt, dass die Vitalität einer Kulturform nicht von ihrer Verortung als « hoch » oder « niedrig » abhängt, sondern von ihrer Fähigkeit, relevante Fragen zu stellen und neue Sichtweisen zu eröffnen. Die spannendste Kultur entsteht dort, wo die Ressourcen und die Sichtbarkeit der grossen Häuser auf die Dringlichkeit und den kritischen Geist der zeitgenössischen Diskurse treffen.

Altstadt schützen und Hightech fördern: Wie gelingt Bern dieser Spagat?

Die Stadt Bern verkörpert auf exemplarische Weise den Spagat, der die gesamte Schweizer Kulturlandschaft prägt: das sorgfältige Bewahren eines reichen historischen Erbes bei gleichzeitigem Streben nach zukunftsweisender Innovation. Die geschützte Altstadt, ein UNESCO-Welterbe, steht symbolisch für die Tradition, während sich die Stadt als Forschungs- und Hightech-Standort positioniert. Dieser scheinbare Widerspruch spiegelt sich auch in der Berner Kulturlandschaft wider, die ein diversifiziertes institutionelles Ökosystem hervorgebracht hat, das verschiedene Rollen und Funktionen erfüllt.

Eine Analyse der wichtigsten Kulturinstitutionen der Stadt macht diesen Spagat sichtbar. Jede Institution hat ein klares Profil und bedient einen anderen Teil des Spektrums zwischen Bewahrung und Experiment. Dieser Vergleich zeigt, wie eine Stadt ein ausbalanciertes kulturelles Angebot schafft, das sowohl die lokale Bevölkerung als auch ein internationales Publikum anspricht.

Kulturinstitutionen in Bern: Ein Vergleich von Tradition und Innovation
Institution Ausrichtung Architektur Schwerpunkt
Kunstmuseum Bern Klassisch Historisch Sammlung & Bewahrung
Zentrum Paul Klee Modern Zeitgenössisch (Renzo Piano) Monografisch & Vermittlung
Dampfzentrale Alternativ Industriearchitektur Performance & Experiment

Während das Kunstmuseum das kulturelle Gedächtnis pflegt, widmet sich das Zentrum Paul Klee der Aufarbeitung und Vermittlung eines zentralen modernen Künstlers und die Dampfzentrale bietet eine Plattform für das Unfertige und Prozesshafte. Gleichzeitig ist auch eine traditionsbewusste Stadt wie Bern fest in die globalen Strömungen des Kunstmarktes eingebunden. Wie ein Kunstmarktexperte in der BILANZ hervorhebt: « Die Nachfrage nach gewissen zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern besteht heute weltweit, und gerade in Asien hat sich in den vergangenen zehn Jahren eine junge Sammlerschaft herausgebildet. » Dieser globale Kontext beeinflusst auch, welche Künstler in Bern ausgestellt und gesammelt werden, und verbindet so das Lokale mit dem Globalen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Wert von Gegenwartskunst definiert sich im Schweizer System massgeblich über die Validierung durch Kuratoren und Museen, nicht allein durch den Marktpreis.
  • Schweizer Künstler navigieren in einem einzigartigen Spannungsfeld zwischen einer der weltweit besten öffentlichen Förderungen und dem Druck eines globalisierten Kunstmarktes.
  • Um ein Kunstwerk zu verstehen, ist sein Kontext entscheidend: Der Ort der Präsentation – vom etablierten Museum bis zum alternativen Off-Space – prägt seine Bedeutung.

Kultur leben statt konsumieren: Wie werden Sie Teil der schweizerischen Kulturlandschaft?

Das Verständnis des komplexen Schweizer Kunst-Ökosystems ist der erste Schritt, um von einem passiven Konsumenten zu einem aktiven Teilnehmer zu werden. Die anfängliche Ratlosigkeit vor einem Kunstwerk weicht der Neugier auf die Geschichte seiner Entstehung, die Bedingungen seiner Präsentation und die Debatten, die es auslöst. Wirkliches Verständnis entsteht nicht durch das alleinige Betrachten, sondern durch das Eintauchen in die Szene, den Austausch mit den Akteuren und die Entdeckung der Orte, an denen Kunst gedacht und geschaffen wird.

Teil der Kulturlandschaft zu werden bedeutet, die eigene Komfortzone zu verlassen und gezielt jene Orte aufzusuchen, an denen der Puls der Gegenwartskunst am stärksten schlägt. Es bedeutet, den Dialog zu suchen, Fragen zu stellen und die eigene Wahrnehmung zu schärfen. Die Schweiz bietet dafür eine ausserordentlich hohe Dichte an Möglichkeiten, die oft niederschwellig und zugänglich sind. Der Schlüssel liegt darin, zu wissen, wo man ansetzen kann.

Ihr Aktionsplan: So werden Sie Teil der Schweizer Kunstszene

  1. Diplomausstellungen besuchen: Entdecken Sie die nächste Generation von Künstlern an den Abschlussausstellungen der Kunsthochschulen wie der ZHdK in Zürich oder der HEAD in Genf. Diese finden meist im Juni/Juli statt und der Eintritt ist oft frei.
  2. Vernissagen in Off-Spaces aufsuchen: Viele Städte haben koordinierte Eröffnungsabende (z.B. jeden ersten Donnerstag im Monat). Dies ist die beste Gelegenheit, die alternative Szene kennenzulernen und mit Künstlern direkt ins Gespräch zu kommen.
  3. Den Schweizer Museumspass erwerben: Für einen Jahresbeitrag von 177 CHF erhalten Sie freien Zugang zu über 500 Museen. Nutzen Sie ihn nicht nur für grosse Blockbuster, sondern gezielt für die kleineren Kunsthallen und kantonalen Museen.
  4. Am Art Basel Public Program teilnehmen: Während der Messewoche bietet das « Parcours »-Programm kostenlose Führungen, Talks und Performances im öffentlichen Raum – eine ideale Möglichkeit, Kunst ausserhalb der Messehallen zu erleben.
  5. Kunst-Crowdfunding unterstützen: Plattformen wie wemakeit.com präsentieren regelmässig Kunstprojekte, die Unterstützung suchen. Schon mit kleinen Beiträgen werden Sie zum Produzenten und ermöglichen die Realisierung einer künstlerischen Vision.

Jeder dieser Schritte ist eine Einladung, die eigene Perspektive zu wechseln und die faszinierende Dynamik des Kunst-Ökosystems aus erster Hand zu erleben. Durch diese aktive Auseinandersetzung verwandelt sich das, was einst « nicht nachvollziehbar » schien, in ein spannendes Feld voller Entdeckungen.

Häufig gestellte Fragen zur Schweizer Gegenwartskunst

Welche Kunstmessen sind für Einsteiger in der Schweiz empfehlenswert?

Die ART INTERNATIONAL ZURICH (findet jährlich statt) ist oft zugänglicher als die Art Basel und präsentiert Kunst in verschiedenen Preissegmenten, was sie für Einsteiger ideal macht. Die Liste Art Fair in Basel, die parallel zur Art Basel stattfindet, fokussiert sich gezielt auf junge Galerien und aufstrebende Künstler und bietet einen hervorragenden Einblick in die neuesten Tendenzen.

Wie kann ich Schweizer Künstler direkt unterstützen?

Es gibt mehrere Wege: Der Kauf von Editionen (limitierte und signierte Drucke oder Objekte) ist ein erschwinglicher Einstieg. Eine Mitgliedschaft in den Freundeskreisen von Museen unterstützt deren Ankaufspolitik. Besuche während « Offene Ateliers »-Tagen ermöglichen den direkten Kontakt und manchmal auch den Kauf ab Atelier. Schliesslich ist der direkte Ankauf in Produzentengalerien, die von Künstlern selbst betrieben werden, eine sehr wirksame Form der Unterstützung.

Welche digitalen Ressourcen gibt es für Schweizer Gegenwartskunst?

SIKART (sikart.ch) ist das umfassendste Online-Lexikon zur Kunst in der Schweiz und eine unschätzbare Ressource für Recherchen. Das « Kunstbulletin » informiert monatlich über die wichtigsten Ausstellungen im ganzen Land und ist auch digital verfügbar. Die Website der Swiss Art Awards dokumentiert zudem jährlich die vom Bundesamt für Kultur geförderten Künstler und gibt einen exzellenten Überblick über vielversprechende Positionen.

Rédigé par Dr. Claudia Herzog, Dr. Claudia Herzog ist Kunsthistorikerin und Kulturmanagerin mit 19 Jahren Erfahrung in Museen, Denkmalpflege und Festivalorganisation. Nach ihrer Promotion in Kunstgeschichte an der Universität Basel leitete sie Ausstellungsprojekte an Schweizer Museen und arbeitete in der kantonalen Denkmalpflege. Sie ist heute selbstständige Kulturberaterin und publiziert zu zeitgenössischer Kunst, Baukultur und kultureller Identität.