Publié le 15 mars 2024

Der Schlüssel zum klimaneutralen Bauen liegt nicht in einzelnen Labels, sondern in der konsequenten Reduktion der oft ignorierten « grauen Emissionen » über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes.

  • Die Fokussierung allein auf den Energieverbrauch im Betrieb vernachlässigt bis zu 50 % der gesamten CO2-Belastung, die in Materialien und Bauprozessen steckt.
  • Die Sanierung von Altbauten ist dem Abriss und Neubau fast immer überlegen, da sie den massiven CO2-Ausstoss bei der Zementherstellung und den Anfall von Bauschutt vermeidet.

Empfehlung: Priorisieren Sie bei jedem Bauprojekt eine Lebenszyklusanalyse. Hinterfragen Sie den Materialeinsatz kritisch und ziehen Sie Suffizienz – also flächensparendes Bauen – als wirksamsten ersten Schritt in Betracht.

Die Klimaziele 2050 stellen die Schweizer Baubranche vor eine immense Herausforderung. Als Architekten, Bauherren und Entwickler sind wir aufgerufen, Gebäude zu schaffen, die nicht nur im Betrieb energieeffizient sind, sondern über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg eine neutrale CO2-Bilanz aufweisen. Viele denken dabei sofort an bewährte Massnahmen wie bessere Dämmung, dreifach verglaste Fenster oder die obligatorische Photovoltaikanlage auf dem Dach. Diese Schritte sind wichtig, doch sie greifen zu kurz und kratzen nur an der Oberfläche des Problems.

Die gängigen Lösungsansätze übersehen oft die entscheidende Grösse im klimaneutralen Bauen: die graue Energie. Das ist die Energie, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung von Baumaterialien benötigt wird. Eine begrünte Fassade kann beeindruckend aussehen, doch wenn dahinter eine energieintensive Betonkonstruktion steckt, die nach 50 Jahren als Bauschutt endet, ist wenig für das Klima gewonnen. Der wahre Wandel erfordert eine radikalere Perspektive, die über Zertifikate und Einzelmassnahmen hinausgeht.

Aber wenn die etablierten Standards nicht ausreichen, was ist dann der richtige Weg? Die Antwort liegt in einem ganzheitlichen Systemdenken, das Suffizienz, Kreislaufwirtschaft und eine intelligente Materialwahl in den Mittelpunkt stellt. Es geht darum, nicht nur effizienter, sondern fundamental anders zu bauen. Dieser Artikel zeigt Ihnen als visionärer Praktiker, wie Sie diese Prinzipien in realisierbare und zukunftsfähige Architektur umsetzen können. Wir beleuchten die verborgenen CO2-Fallen, stellen bewährte Alternativen vor und zeigen, wie Gebäude zu einem positiven Teil des Ökosystems werden können.

Um diese komplexen Zusammenhänge zu verstehen, haben wir diesen Artikel in acht Kernbereiche gegliedert. Jeder Abschnitt beleuchtet eine entscheidende Facette des klimaneutralen Bauens und bietet Ihnen konkrete, praxisnahe Ansätze für Ihre nächsten Projekte.

Warum werden 85% der Schweizer Neubauten nicht nach Minergie-P gebaut?

Minergie-P gilt als der Goldstandard für energieeffizientes Bauen in der Schweiz. Ein Gebäude nach diesem Standard ist quasi ein « Passivhaus », das kaum noch externe Energie für Heizung oder Kühlung benötigt. Dennoch ist die Realität ernüchternd: Nur ein kleiner Teil der Neubauten strebt diese höchste Stufe an. Der Grund dafür ist vielschichtig und geht über die reinen Baukosten hinaus. Viele Bauherren und selbst Architekten scheuen den Aufwand und die wahrgenommene Komplexität, die mit einer Zertifizierung verbunden sind.

Ein wesentlicher Hinderungsgrund ist der administrative Aufwand. Wie das Beispiel des Kantons Zürich zeigt, ist der Zertifizierungsprozess langwierig und formalistisch. Eine Erstprüfung kann vier bis sechs Wochen dauern, gefolgt von einer provisorischen und erst nach Bauabschluss einer definitiven Zertifizierung, die umfangreiche Abnahmeprotokolle für alle technischen Anlagen erfordert. Diese bürokratischen Hürden wirken abschreckend und stehen oft im Konflikt mit den straffen Zeitplänen von Bauprojekten. Die zusätzlichen Planungskosten und die Notwendigkeit spezialisierter Fachexperten tragen ebenfalls zur Zurückhaltung bei.

Darüber hinaus erfordert Minergie-P ein fundamentales Umdenken in der Entwurfsphase, wie Minergie Schweiz selbst betont:

MINERGIE-P bedingt ein eigenständiges, am niedrigen Energieverbrauch orientiertes Gebäudekonzept. Als ungenügend erweist sich insbesondere, das Projekt eines Niedrigenergie- oder eines MINERGIE–Hauses mit einer zusätzlichen Wärmedämmschicht einzupacken.

– Minergie Schweiz, Offizielle Minergie-Dokumentation

Es reicht also nicht, ein Standardprojekt « aufzurüsten ». Der gesamte Entwurf muss von Grund auf auf maximale Effizienz und Dichtheit ausgelegt sein. Diese Kompromisslosigkeit passt nicht zu jedem Projekt oder jeder Bauherrenvision. Das Scheitern an der breiten Akzeptanz von Minergie-P ist somit weniger ein Versagen des Standards an sich als vielmehr ein Symptom dafür, dass die Baubranche ein einfacheres, ganzheitlicheres Modell für Nachhaltigkeit benötigt, das über die reine Betriebsenergie hinausgeht.

Vom Rohstoff bis zur Heizung: Die 7 Säulen klimaneutraler Gebäude

Wirkliche Klimaneutralität lässt sich nicht durch eine einzige Massnahme erreichen. Sie ist das Ergebnis eines systemischen Ansatzes, der den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes umfasst. Anstatt sich nur auf die Energieeffizienz im Betrieb zu konzentrieren, müssen wir sieben entscheidende Säulen berücksichtigen, die von der Rohstoffgewinnung bis zur Wiederverwertung nach dem Lebensende reichen. Dieser ganzheitliche Blick ist der einzige Weg, um versteckte Emissionen aufzudecken und echte Nachhaltigkeit zu realisieren.

Die erste und vielleicht wirkungsvollste Säule ist die Suffizienz. Es geht um die Frage: Wie viel Gebäude brauchen wir wirklich? Jede nicht gebaute Fläche ist die klimafreundlichste. Eine Studie zeigt, dass mit aktuell über 46 m² pro Person in der Schweiz ein enormes Einsparpotenzial in intelligenteren, flexibleren und flächensparenderen Grundrissen liegt. Die weiteren Säulen umfassen die Wahl emissionsarmer, kreislauffähiger Materialien (graue Energie), eine langlebige und anpassungsfähige Konstruktion, eine hocheffiziente Gebäudetechnik, die maximale Nutzung erneuerbarer Energien vor Ort, die Integration des Gebäudes in seine Umgebung (z. B. durch Sektorkopplung) und schliesslich die Planung für einen einfachen Rückbau und die Wiederverwendung der Materialien.

Die sieben Säulen des klimaneutralen Bauens visualisiert als architektonische Elemente

Wie diese Infografik symbolisch darstellt, trägt jede dieser Säulen zur Stabilität des Gesamtkonzepts bei. Fehlt eine davon, gerät die gesamte Struktur ins Wanken. Ein Gebäude aus Holz (gute Materialwahl), das aber überdimensioniert ist (mangelnde Suffizienz) und dessen Komponenten am Ende nicht getrennt werden können (mangelnde Kreislauffähigkeit), verfehlt das Ziel ebenso wie ein perfekt gedämmtes Haus, das mit emissionsintensiven Materialien gebaut wurde. Systemdenken ist daher keine Option, sondern die Grundvoraussetzung für zukunftsfähige Architektur.

Altbau sanieren oder abreissen: Was spart mehr CO2 über 50 Jahre?

In der Schweiz steht eine der strategisch wichtigsten Entscheidungen für das Klima oft am Anfang eines Projekts: Soll der bestehende Altbau saniert oder durch einen energieeffizienteren Neubau ersetzt werden? Die Antwort scheint auf den ersten Blick klar: Ein Neubau nach modernen Standards verbraucht weniger Energie. Doch diese Betrachtung ist gefährlich kurzsichtig, denn sie ignoriert die gewaltige Menge an « grauen Emissionen », die bei Abriss und Neubau entstehen.

Die Zahlen sind alarmierend. Der Bausektor ist für einen riesigen Teil des nationalen Abfallaufkommens verantwortlich; mit einem Anteil von 84% am Gesamtabfall in der Schweiz zeigt sich hier ein enormes Problem. Jeder Abriss produziert Tonnen von Bauschutt, dessen Entsorgung oder Recycling wiederum Energie kostet. Gleichzeitig erfordert der Neubau Unmengen an neuen Materialien, allen voran Beton. Allein bei der Zementherstellung fallen zwischen 500 und 600 Kilogramm CO2-Äquivalente pro Tonne an. Diese massive CO2-Hypothek muss ein Neubau über seine Lebensdauer erst einmal « abarbeiten », um die Bilanz des sanierten Altbaus zu erreichen.

Studien zeigen, dass dies oft Jahrzehnte dauert. Eine umfassende Sanierung, die die Bausubstanz erhält und mit einer modernen Gebäudehülle und -technik kombiniert, ist in den meisten Fällen die deutlich klimafreundlichere Lösung über einen Betrachtungszeitraum von 50 Jahren. Die Erhaltung der grauen Energie, die bereits im Bestandsobjekt « gespeichert » ist, wird zum entscheidenden Faktor. Dieser Ansatz des zirkulären Bauens – das Weiterverwenden und Aufwerten des Bestehenden – ist kein Kompromiss, sondern die intelligenteste Form der Nachhaltigkeit. Der Grundsatz muss lauten: Sanieren vor Abreissen, wann immer es bautechnisch und wirtschaftlich vertretbar ist.

Wenn begrünte Fassaden nur Kulisse sind: Schein-Nachhaltigkeit in der Architektur

Begrünte Fassaden, glänzende Solarpanels und Bienenstöcke auf dem Dach – die Symbole für nachhaltige Architektur sind allgegenwärtig. Doch oft dienen sie mehr dem Marketing als dem Klima. Dieses « Greenwashing » ist eine der grössten Gefahren auf dem Weg zu einer wirklich klimaneutralen Bauwirtschaft, denn es suggeriert Fortschritt, wo keiner stattfindet. Eine rein ästhetische Nachhaltigkeit, die die unsichtbaren Faktoren wie graue Energie und Materialherkunft ignoriert, ist bestenfalls eine Beruhigungspille und schlimmstenfalls eine bewusste Irreführung.

Zweifellos hat der Schweizer Gebäudesektor Fortschritte gemacht. Eine Analyse zeigt: Trotz stark wachsender Bevölkerung sind die Emissionen im Gebäudesektor seit 1990 um 44% gesunken. Dieser Erfolg ist jedoch fast ausschliesslich auf die Reduktion der Betriebsenergie durch bessere Dämmung und effizientere Heizsysteme zurückzuführen. Die grauen Emissionen aus Bau und Materialien wurden dabei kaum angetastet. Eine Fassadenbegrünung mag das Mikroklima verbessern, aber wenn sie an einer schlecht gedämmten Betonwand montiert ist und ihr Unterhalt viel Wasser und Energie erfordert, ist die Gesamtbilanz fragwürdig.

Echte Nachhaltigkeit erfordert eine ganzheitliche Betrachtung, die über die sichtbare Oberfläche hinausgeht. Standards wie der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) versuchen, diesen umfassenden Ansatz zu etablieren. Sie bewerten ein Gebäude nicht nur nach seinem Energieverbrauch, sondern auch nach Kriterien wie Materialökologie, Ressourceneffizienz, sozialer Verträglichkeit und Wirtschaftlichkeit über den gesamten Lebenszyklus. Es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen: Woher kommt das Material? Wie wird es hergestellt? Kann es am Ende seines Lebens wiederverwendet werden? Nur Gebäude, die auf diese Fragen überzeugende Antworten liefern, verdienen das Label « nachhaltig ».

Holz, Lehm oder Recyclingbeton: Welches Material für welchen Gebäudeteil?

Die Wahl der Baumaterialien ist einer der entscheidendsten Hebel zur Reduzierung der grauen Emissionen. Statt reflexartig zu konventionellem Beton und Stahl zu greifen, müssen Architekten und Bauherren die Materialfrage für jeden Gebäudeteil neu stellen. Es geht darum, das richtige Material für den richtigen Zweck zu finden, basierend auf seiner CO2-Bilanz, seiner regionalen Verfügbarkeit und seiner Eignung für eine Kreislaufwirtschaft. Die Renaissance traditioneller Baustoffe wie Holz und Lehm, kombiniert mit innovativen Recyclingmaterialien, eröffnet hier völlig neue Möglichkeiten.

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die CO2-Bilanz und die optimale Verwendung einiger Schlüsselmaterialien. Sie macht deutlich, dass es nicht das eine « perfekte » Material gibt, sondern dass eine intelligente Kombination der Schlüssel ist.

CO2-Bilanz und optimale Verwendung verschiedener Baumaterialien
Material CO2-Emission Optimale Verwendung
Holz CO2-Speicher Tragstruktur, Fassade
Lehm Minimal Innenwände, Feuchtigkeitsregulierung
Recyclingbeton Reduziert Fundament, Bodenplatte
Konventioneller Beton 500-600 kg/t Nur wo statisch notwendig

Ein herausragendes Schweizer Beispiel für diesen differenzierten Materialeinsatz ist das Ricola-Kräuterzentrum von Herzog & de Meuron. Die Architekten entschieden sich bewusst für eine Fassade aus Stampflehm, der lokal gewonnen wurde. Dieses traditionelle Material sorgt nicht nur für eine exzellente CO2-Bilanz, sondern auch für ein hervorragendes Raumklima durch seine Fähigkeit, Feuchtigkeit zu regulieren. Für die Tragstruktur wurde Holz verwendet. Dieses Projekt zeigt eindrücklich, wie High-Tech-Architektur und traditionelle, emissionsarme Materialien eine kraftvolle Symbiose eingehen können.

Materialproben von Holz, Lehm und Recyclingbeton in Makroaufnahme

Die Entscheidung für ein Material ist immer eine Abwägung. Holz ist ein fantastischer CO2-Speicher, aber seine Verfügbarkeit ist begrenzt. Recyclingbeton reduziert die Emissionen im Vergleich zu neuem Beton, ist aber immer noch energieintensiver als Lehm. Die Kunst besteht darin, für Fundamente, Tragwerke, Wände und Fassaden jeweils die ökologisch und statisch sinnvollste Lösung zu finden und so ein Material-Mosaik zu schaffen, das in seiner Gesamtheit klimaneutral ist.

Von 200 auf 80 kWh/m²/Jahr: Die 6 Massnahmen für ein energieeffizientes Gebäude

Neben der Reduktion der grauen Energie bleibt die Minimierung des Energieverbrauchs im Betrieb eine zentrale Aufgabe. Das Ziel ist es, den Bedarf von vornherein so weit zu senken, dass er leicht mit erneuerbaren Energien gedeckt werden kann. Ein typischer unsanierter Altbau verbraucht oft über 200 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr (kWh/m²a). Ein guter Neubaustandard liegt heute bei unter 80 kWh/m²a. Diese massive Reduktion ist kein Hexenwerk, sondern das Ergebnis von sechs gezielten Massnahmen, die ineinandergreifen.

Der häufigste Fehler ist, Effizienz nur als eine Frage der Technik zu sehen – also der Heizung oder der Lüftungsanlage. Doch die grössten Hebel liegen im architektonischen Entwurf selbst. Passive Strategien, wie die optimale Ausrichtung des Gebäudes zur Sonne, eine natürliche Querlüftung zur sommerlichen Kühlung oder die Verwendung von thermischer Speichermasse, können den Energiebedarf drastisch senken, bevor überhaupt an Technik gedacht wird. Diese « Low-Tech »-Ansätze sind oft kostengünstiger und robuster als komplexe technische Systeme.

Die folgenden Schritte, empfohlen von EnergieSchweiz, bilden einen Fahrplan, um die Energieeffizienz systematisch zu maximieren und gleichzeitig die grauen Emissionen zu berücksichtigen.

Ihr Fahrplan zur Energieeffizienz: 6 konkrete Massnahmen

  1. Flächensparende Grundrisse planen: Kompakte und intelligente Layouts können die grauen Treibhausgase um bis zu 15 % reduzieren, da weniger Material für Hülle und Struktur benötigt wird.
  2. Leichtbauweise wählen: Eine leichtere Konstruktion, zum Beispiel in Holz, reduziert die grauen Emissionen um weitere 10 % und erfordert weniger massive Fundamente.
  3. Passive Architektur vor High-Tech: Nutzen Sie natürliche Ressourcen wie Sonnenlicht und Luftströmungen durch eine kluge Gebäudeausrichtung und -gestaltung, anstatt sich allein auf Technik zu verlassen.
  4. Nutzerverhalten optimieren: Durch bewusstes Heizen, Lüften und Stromverbrauchen können die Bewohner selbst bis zu 20 % Energie einsparen. Information und einfache Bedienkonzepte sind hier entscheidend.
  5. Holzkonstruktionen einsetzen: Holz speichert nicht nur CO2, sondern erfordert auch weniger Energie in der Herstellung als mineralische Baustoffe und trägt zur Reduktion der grauen Emissionen bei.
  6. Anschluss an Anergienetz-Verbund: Die Einbindung in ein lokales Wärme- oder Kältenetz (Sektorkopplung) ermöglicht die Nutzung von Abwärme und steigert die Effizienz des Gesamtsystems.

Diese Massnahmen zeigen, dass Energieeffizienz ein integraler Bestandteil des architektonischen Entwurfs ist. Es ist ein Zusammenspiel aus cleverer Planung, der richtigen Materialwahl und einem optimierten Nutzerverhalten. Nur wenn alle diese Aspekte berücksichtigt werden, kann der Energiebedarf auf ein zukunftsfähiges Niveau gesenkt werden.

Altstadt schützen und Hightech fördern: Wie gelingt Bern dieser Spagat?

Der sensible Umgang mit historischer Bausubstanz bei gleichzeitiger Erfüllung modernster Klimaziele ist eine der grössten Herausforderungen, insbesondere in Städten wie Bern mit seinem UNESCO-Weltkulturerbe. Der Spagat zwischen Denkmalschutz und Hightech-Innovation scheint oft unmöglich. Doch gerade hier liegt ein enormes Potenzial, wenn man aufhört, Alt und Neu als Gegensätze zu betrachten, und stattdessen nach intelligenten Symbiosen sucht.

Es geht nicht darum, historische Fassaden mit sichtbarer Technik zu überfrachten. Vielmehr müssen die Prinzipien der Nachhaltigkeit – Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Kreislaufwirtschaft – auf eine Weise integriert werden, die den Charakter des Ortes respektiert und sogar stärkt. Das kann eine unsichtbare Innendämmung mit ökologischen Materialien, die Nutzung von Geothermie aus dem städtischen Untergrund oder die Vernetzung von Gebäuden zu einem Energieverbund sein. Wegweisend sind Projekte, die beweisen, dass sich höchste Energieeffizienz und Baukultur nicht ausschliessen.

Ein inspirierendes Beispiel dafür, was technologisch möglich ist, findet sich im Thurgau. Die Siedlung « Alte Schmitte » in Güttingen wurde als erste klimapositive Plusenergie-Siedlung des Kantons realisiert. Laut Architekt Fabrice Bär produziert die Siedlung viermal mehr Energie, als sie verbraucht. Dies senkt nicht nur die Energiekosten für die Bewohner drastisch, sondern macht das Projekt auch wirtschaftlich äusserst attraktiv. Solche Pilotprojekte zeigen das immense Potenzial, das in der Kombination aus ambitionierter Architektur und konsequenter Energietechnik steckt – ein Modell, das auch im urbanen Kontext von Bern Anwendung finden kann.

Ein weiterer entscheidender Aspekt ist die Denkweise, die hinter solchen Projekten steht. Es geht um Langlebigkeit und die Vision einer abfallfreien Zukunft, wie Andy Keel, CEO der Openly Holding AG, unterstreicht:

Für uns ist die Langlebigkeit ein wichtiger Faktor, alle unsere Bauten sollen rückbaubar und wiederverwertbar sein.

– Andy Keel, CEO Openly Holding AG

Diese Vision des zirkulären Bauens ist der Schlüssel, um Denkmalschutz und Klimaschutz zu versöhnen. Indem wir heute schon an morgen denken und Gebäude als Materiallager für die Zukunft gestalten, schaffen wir Werte, die über Generationen Bestand haben.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Fokussierung auf Betriebsenergie allein ist irreführend; die « graue Energie » in Materialien macht bis zu 50% der Gesamt-CO2-Emissionen aus.
  • Sanieren ist fast immer klimafreundlicher als Abreissen und Neubauen, da die im Bestand gespeicherte graue Energie erhalten bleibt.
  • Echte Nachhaltigkeit erfordert Systemdenken: Suffizienz (weniger bauen), zirkuläre Materialien und passive Architektur sind wirksamer als rein technische Lösungen.

Räume, die heilen: Wie gestalten Sie Ihr Zuhause als Ort der Erholung?

Am Ende aller technischen und ökologischen Überlegungen steht der Mensch. Ein klimaneutrales Gebäude erfüllt seinen Zweck erst dann vollständig, wenn es auch ein gesunder, angenehmer und erholsamer Lebensraum ist. Die gute Nachricht ist: Die Prinzipien des nachhaltigen Bauens und die Schaffung von « heilenden Räumen » gehen Hand in Hand. Die Wahl natürlicher, schadstofffreier Materialien reduziert nicht nur die CO2-Bilanz, sondern verbessert auch nachweislich das Wohlbefinden der Bewohner.

Dieser Zusammenhang wird deutlich, wenn wir uns erneut die Bedeutung der grauen Energie vor Augen führen. Eine Studie belegt, dass die graue Energie bis zu 50% des gesamten Energieverbrauchs eines Gebäudes über dessen Lebensdauer ausmachen kann. Die Entscheidung für emissionsarme Materialien wie Holz, Lehm oder Stroh ist also ein gewaltiger Hebel für den Klimaschutz. Gleichzeitig sind es genau diese Materialien, die eine positive Wirkung auf unsere Gesundheit haben. Sie sind diffusionsoffen, regulieren die Luftfeuchtigkeit und enthalten keine schädlichen Ausdünstungen, wie sie oft in synthetischen Baustoffen zu finden sind.

Ein konkretes Beispiel ist die Wirkung von Holz. Schweizer Studien zur Verwendung von Arven- oder Tannenholz haben eine nachweislich beruhigende Wirkung auf die Herzfrequenz der Bewohner gezeigt. Im Minergie-ECO-Standard, der einen besonderen Fokus auf Bauökologie und Gesundheit legt, wird gezielt auf schadstofffreie Materialien gesetzt: kein Formaldehyd in der Holzverleimung, keine Lösemittel in Anstrichen und Klebern. Das Ergebnis ist nicht nur ein klimafreundlicheres Gebäude, sondern auch ein nachweislich gesünderes Innenraumklima, das Allergien vorbeugt und zur Erholung beiträgt.

Die Gestaltung eines Zuhauses als Ort der Erholung bedeutet also, den Kreis zu schliessen: Indem wir Materialien wählen, die gut für den Planeten sind, schaffen wir auch Räume, die gut für uns sind. Es ist die ultimative Synthese aus ökologischer Verantwortung und menschlichem Wohlbefinden, das eigentliche Ziel zukunftsfähiger Architektur.

Um diese Synergie zwischen Nachhaltigkeit und Wohlbefinden optimal zu nutzen, ist es wichtig, die Prinzipien wohngesunder Materialien zu verinnerlichen.

Der Weg zum klimaneutralen Gebäudepark 2050 ist anspruchsvoll, aber er ist auch eine Chance, unsere gebaute Umwelt neu zu denken – gesünder, ressourcenschonender und schöner. Um diese Prinzipien in Ihrem nächsten Projekt konkret anzuwenden, ist der erste Schritt eine fundierte Analyse des Potenzials und der spezifischen Herausforderungen. Bewerten Sie jetzt die Möglichkeiten für Ihr Bauvorhaben, um eine zukunftsfähige und wertstabile Immobilie zu schaffen.

Rédigé par Dr. Barbara Wyss, Dr. Barbara Wyss ist Geografin und Raumplanerin mit 17 Jahren Erfahrung in nachhaltiger Regional- und Tourismusentwicklung. Nach ihrer Promotion an der Universität Zürich arbeitete sie für Planungsbüros und Gemeinden an Projekten der Innenentwicklung, Landschaftsplanung und des sanften Tourismus. Sie ist Inhaberin eines Planungsbüros und Expertin für Lebensqualität, Standortentwicklung und nachhaltige Architektur.