
Die Schweizer Landwirtschaft ist ein hochkomplexes Spannungsfeld: Sie muss höchste ökologische Standards erfüllen, dem globalen Preisdruck standhalten und gleichzeitig die nationale Versorgung sichern.
- Trotz fruchtbarer Böden importiert die Schweiz Agrargüter für über 14 Milliarden Franken, sogar bei traditionellen Gütern wie Milchprodukten ist die Handelsbilanz negativ.
- Fast alle Betriebe wirtschaften nach dem strengen ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN), was die Qualität steigert, aber auch die Kosten in die Höhe treibt.
Empfehlung: Die Resilienz der Schweizer Landwirtschaft hängt nicht von der Grösse der Betriebe ab, sondern von ihrer Fähigkeit zur Diversifizierung, Direktvermarktung und dem Schutz ihrer wichtigsten Ressource: des Bodens.
Das Bild der Schweizer Landwirtschaft, besonders im fruchtbaren Mittelland, ist oft von idyllischen Vorstellungen geprägt: grüne Wiesen, glückliche Kühe und eine naturnahe Produktion, die das Land versorgt. Diese Vorstellung ist ein wichtiger Teil unserer nationalen Identität. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich eine Realität, die von tiefen ökonomischen Spannungen und strukturellen Herausforderungen geprägt ist. Viele fragen sich, wie es sein kann, dass ein Land mit solch hohen Agrarstandards und produktiven Böden dennoch in so hohem Masse von Lebensmittelimporten abhängig ist.
Die gängigen Antworten verweisen oft auf den Strukturwandel, die hohen hiesigen Kosten oder den starken Franken. Diese Faktoren sind zwar korrekt, kratzen aber nur an der Oberfläche eines weitaus komplexeren Systems. Die eigentliche Herausforderung liegt im permanenten Spannungsfeld zwischen dem gesellschaftlichen Wunsch nach nachhaltiger, lokaler Produktion, den knallharten Realitäten des globalen Marktes und dem stetigen Verlust von wertvollem Kulturland. Die Schweizer Bauernfamilien navigieren täglich in diesem anspruchsvollen Umfeld, in dem jede Entscheidung weitreichende Konsequenzen hat.
Doch wenn die wahre Herausforderung nicht nur der Preis, sondern das System selbst ist, wo liegen dann die Hebel für eine zukunftsfähige Landwirtschaft? Dieser Artikel taucht tief in die wirtschaftlichen und ökologischen Mechanismen ein, die die Schweizer Landwirtschaft im Mittelland heute definieren. Wir analysieren nicht nur die Probleme, sondern beleuchten die innovativen Strategien und robusten Modelle, mit denen Landwirtinnen und Landwirte die Versorgungssicherheit der Schweiz für morgen sichern. Es ist eine Analyse, die zeigt, dass Resilienz oft dort entsteht, wo man sie am wenigsten erwartet.
Um diese komplexen Zusammenhänge zu verstehen, beleuchten wir die Schlüsselfragen, die die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft bestimmen. Der folgende Artikel bietet Ihnen einen strukturierten Einblick in die ökonomischen Realitäten, ökologischen Bemühungen und strategischen Entscheidungen, die hinter der Lebensmittelproduktion im Mittelland stehen.
Inhaltsverzeichnis: Die Schweizer Landwirtschaft im Detail
- Warum importiert die Schweiz jährlich Lebensmittel für 12 Milliarden CHF trotz guter Böden?
- Vom Boden bis zum Teller: Welche nachhaltigen Praktiken 80% der Schweizer Höfe anwenden
- 200 Hektar Getreide oder 5 Hektar Alpwirtschaft: Welches Modell sichert das Einkommen?
- Der Monokultur-Fehler, der Böden in 3 Jahren auslaugt und 100.000 CHF Ertrag kostet
- Frühling für Kartoffeln, Herbst für Raps: Der optimale Anbaukalender fürs Mittelland
- Zersiedelung im Mittelland: Warum verschwinden täglich 8 Hektar Landwirtschaftsfläche
- 60% Export oder 90% Binnenmarkt: Welche Branchen leiden zuerst bei Frankenstärke?
- Trotz Frankenschock, Pandemie, Energiekrise: Warum bleibt die Schweizer Wirtschaft stabil?
Warum importiert die Schweiz jährlich Lebensmittel für 12 Milliarden CHF trotz guter Böden?
Die Schweiz ist ein Land, das für seine hohe Qualität und seine produktive Landwirtschaft bekannt ist. Dennoch zeichnen die Zahlen des Aussenhandels ein paradoxes Bild. Trotz idealer Anbaubedingungen im Mittelland ist die Schweiz stark von Importen abhängig. Wie der aktuelle Agrarbericht des Bundes zeigt, beliefen sich die Agrarimporte im Jahr 2023 auf 14,81 Milliarden CHF. Diese Zahl allein verdeutlicht die enorme Lücke zwischen dem nationalen Verbrauch und der heimischen Produktion. Der Netto-Selbstversorgungsgrad liegt bei rund 50 Prozent, was bedeutet, dass fast die Hälfte unserer Lebensmittel aus dem Ausland stammt.
Besonders augenfällig ist das Handelsdefizit in Sektoren, in denen man eine Stärke der Schweiz vermuten würde. So ist die Handelsbilanz bei Obst und Gemüse stark negativ und weist ein Defizit von 3,3 Milliarden Franken auf. Was jedoch besonders aufhorchen lässt, ist eine historische Wende in einem der Kernbereiche der Schweizer Identität, wie das Bundesamt für Landwirtschaft im Agrarbericht 2024 festhält:
Die Handelsbilanz für Milchprodukte, Eier und Honig fällt 2023 erstmals seit mindestens 35 Jahren negativ aus.
– Bundesamt für Landwirtschaft, Agrarbericht 2024
Dieses Phänomen ist nicht allein auf mangelnde Produktionskapazitäten zurückzuführen. Es ist vielmehr das Ergebnis eines komplexen Spannungsfeldes: Hohe Produktionskosten in der Schweiz, bedingt durch strenge Umweltauflagen, Tierschutzgesetze und hohe Löhne, treffen auf den globalen Markt, wo Lebensmittel zu deutlich tieferen Preisen produziert werden können. Für Verarbeiter und den Detailhandel ist der Import oft wirtschaftlich attraktiver, was den Druck auf die inländischen Produzenten stetig erhöht.
Vom Boden bis zum Teller: Welche nachhaltigen Praktiken 80% der Schweizer Höfe anwenden
Während der Importdruck steigt, setzen Schweizer Bauernfamilien auf ein entscheidendes Differenzierungsmerkmal: Qualität und Nachhaltigkeit. Die hohen Produktionskosten sind nämlich zu einem grossen Teil eine direkte Folge der strengen gesetzlichen Auflagen, die weit über die Standards vieler anderer Länder hinausgehen. Das zentrale Instrument dafür ist der ökologische Leistungsnachweis (ÖLN), ein Anforderungskatalog, den praktisch alle Betriebe erfüllen müssen, um Direktzahlungen zu erhalten. Laut der Initiative Schweizer Brot werden 98 Prozent der Landwirtschaftsfläche nach dem ÖLN-Standard bewirtschaftet.
Dieser Standard ist keine blosse Formalität. Er umfasst konkrete Massnahmen, die einen direkten Einfluss auf Umwelt und Tierwohl haben, darunter:
- Eine ausgeglichene Düngerbilanz zur Vermeidung von Nährstoffüberschüssen.
- Ein angemessener Anteil an Biodiversitätsförderflächen zur Stärkung der Artenvielfalt.
- Eine geregelte Fruchtfolge, um die Bodengesundheit langfristig zu erhalten.
- Ein gezielter und reduzierter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.
Besonders im Bereich der Biodiversität gehen die Bemühungen vieler Betriebe weit über das gesetzliche Minimum hinaus. Während der ÖLN vorschreibt, dass 7 Prozent der Nutzfläche als Biodiversitätsförderflächen (wie Blühstreifen oder Hecken) ausgewiesen werden müssen, widmen die Schweizer Bauernfamilien diesem Zweck freiwillig deutlich mehr. Sie fördern die Artenvielfalt auf 19 Prozent ihrer Fläche, was einer Gesamtfläche von 190’000 Hektaren entspricht. Dies zeigt das grosse Engagement der Produzenten für eine umweltschonende Bewirtschaftung.

Diese hohen Standards schaffen einen Mehrwert für Gesellschaft und Umwelt, führen aber unweigerlich zu höheren Produktionskosten im Vergleich zum Ausland. Dieser Qualitätsanspruch ist somit gleichzeitig Stärke und wirtschaftliche Herausforderung im globalen Wettbewerb. Er bildet die Grundlage der Schweizer Qualitätsstrategie, die es gegenüber günstigeren Importprodukten zu verteidigen gilt.
200 Hektar Getreide oder 5 Hektar Alpwirtschaft: Welches Modell sichert das Einkommen?
Angesichts des hohen Kostendrucks stellt sich für jeden Landwirtschaftsbetrieb die überlebenswichtige Frage nach dem richtigen Geschäftsmodell. Eine pauschale Antwort gibt es nicht, da die Strategien stark von der Grösse, Lage und Ausrichtung des Hofes abhängen. Im Mittelland konkurrieren im Wesentlichen zwei Philosophien: die Spezialisierung auf grosse Volumen und die Diversifizierung in Nischen. Die folgende Übersicht zeigt die unterschiedlichen Ansätze zur Sicherung der systemischen Resilienz.
Diese Analyse verdeutlicht die Risiken der einzelnen Modelle. Während grosse, spezialisierte Betriebe von Skaleneffekten profitieren können, sind sie bei Preisschwankungen oder Ernteausfällen extrem verwundbar. Kleinere, diversifizierte Betriebe hingegen können Risiken besser streuen.
| Modell | Flächenbedarf | Hauptrisiken | Resilienz |
|---|---|---|---|
| Spezialisierter Grossbetrieb | >50 ha | Hohe Investitionen, Preisschwankungen | Niedrig – kaum Abfederung bei Krisen |
| Diversifizierter Mittelbetrieb | 20-30 ha | Moderate Risiken | Hoch – mehrere Standbeine |
| Direktvermarktung mit Nischenprodukten | 5-10 ha | Arbeitsintensiv | Mittel bis hoch |
Ein zunehmend wichtiger werdender Trend zur Stärkung der Resilienz ist die Direktvermarktung. Indem sie ihre Produkte direkt an die Konsumenten verkaufen, umgehen die Betriebe die Zwischenhändler und können einen grösseren Teil der Wertschöpfungskette für sich beanspruchen. Dies ermöglicht fairere Preise und schafft eine direkte Beziehung zum Kunden. Eine Statistik des Schweizer Bauernverbands zeigt die Dynamik dieses Trends: 22 Prozent aller Schweizer Bauernhöfe verkaufen direkt an Konsumenten, was einer Steigerung von 60 Prozent innerhalb von nur sechs Jahren entspricht. Dieses Modell ist zwar arbeitsintensiv, stärkt aber die wirtschaftliche Unabhängigkeit und das Einkommen vieler Familienbetriebe erheblich.
Der Monokultur-Fehler, der Böden in 3 Jahren auslaugt und 100.000 CHF Ertrag kostet
Unabhängig vom gewählten Wirtschaftsmodell ist die wichtigste Ressource eines jeden landwirtschaftlichen Betriebs der Boden. Kurzfristiges Denken, das auf maximalen Ertrag durch enge Fruchtfolgen oder Monokulturen abzielt, kann sich langfristig als fataler Fehler erweisen. Eine einseitige Bewirtschaftung entzieht dem Boden gezielt Nährstoffe, verdichtet ihn durch schwere Maschinen und reduziert das Bodenleben drastisch. Innerhalb weniger Jahre kann die Fruchtbarkeit so stark abnehmen, dass die Erträge einbrechen und hohe Kosten für Düngemittel und Bodenverbesserer anfallen, was den wirtschaftlichen Erfolg eines Betriebs existenziell gefährden kann.
Die Folgen von Bodendegradation sind nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch gravierend. Ein ausgelaugter Boden ist anfälliger für Erosion durch Wind und Wasser, kann weniger Wasser speichern – was ihn in Trockenperioden verwundbarer macht – und verliert seine natürliche Fähigkeit, Schädlinge zu regulieren. Der finanzielle Schaden durch Ertragsverluste und die Kosten für Gegenmassnahmen können sich über die Jahre schnell auf Zehn- oder sogar Hunderttausende von Franken summieren. Der Schutz der Bodengesundheit ist daher keine ökologische Liebhaberei, sondern eine zentrale unternehmerische Notwendigkeit.
Glücklicherweise gibt es eine Reihe von bewährten Massnahmen, um der Bodendegradation entgegenzuwirken und die Fruchtbarkeit langfristig zu sichern. Diese Praktiken sind oft Teil des ÖLN und werden von vielen Betrieben bereits erfolgreich umgesetzt. Sie erfordern ein Umdenken weg von der reinen Ertragsmaximierung pro Jahr hin zur Sicherung der Produktivität über Generationen.
Ihr Plan zur Stärkung der Bodengesundheit
- Fruchtfolge diversifizieren: Planen Sie eine Rotation von mindestens 3-4 verschiedenen Kulturen (z. B. Getreide, Raps, Kunstwiese, Kartoffeln), um eine einseitige Nährstoffentnahme zu vermeiden.
- Zwischenfrüchte und Gründüngung anbauen: Säen Sie nach der Ernte Leguminosen oder andere Gründüngungspflanzen, um den Boden zu bedecken, Erosion zu verhindern und organische Masse aufzubauen.
- Bodenverdichtung minimieren: Setzen Sie leichtere Maschinen ein, wann immer möglich, und befahren Sie die Felder nur bei trockenen Bodenverhältnissen, um die Bodenstruktur zu schonen.
- Organisches Material zurückführen: Arbeiten Sie Ernterückstände, Kompost oder Mist ein, um das Bodenleben zu fördern und die Humusschicht zu stärken.
- Biodiversität fördern: Integrieren Sie Blühstreifen und Hecken in Ihre Flächen, die nicht nur Nützlinge anziehen, sondern auch als Wind- und Erosionsschutz dienen können.
Frühling für Kartoffeln, Herbst für Raps: Der optimale Anbaukalender fürs Mittelland
Die Landwirtschaft im Schweizer Mittelland ist geprägt von einem Mosaik verschiedener Nutzungsformen. Eine Analyse der Schweizerischen Vogelwarte zeigt die Aufteilung der Flächen: etwa 30,9% entfallen auf den Ackerbau, 34,4% auf Dauergrünland (Wiesen und Weiden) und der Rest hauptsächlich auf die Alpwirtschaft. Im Ackerbau des Mittellandes ist der Anbaukalender das Herzstück der Jahresplanung. Er diktiert den Rhythmus der Arbeit und ist entscheidend für den Erfolg der Ernte. Die Wahl der Kulturen und der Zeitpunkt von Aussaat und Ernte müssen präzise auf die klimatischen Bedingungen und die Bodeneigenschaften abgestimmt sein.
Im Frühling, wenn die Böden abtrocknen und die Temperaturen steigen, beginnt die intensive Zeit der Aussaat. Kulturen wie Zuckerrüben, Mais und Kartoffeln werden in den Boden gebracht. Insbesondere Kartoffeln benötigen einen lockeren, warmen Boden und sind frostempfindlich, weshalb ihre Pflanzung meist erst ab April erfolgt. Gleichzeitig beginnt das Wachstum der im Herbst gesäten Winterkulturen wie Weizen und Gerste, die nun gedüngt und gepflegt werden müssen.

Der Sommer ist die Hauptwachstumsphase. Während die Getreidefelder reifen, steht die Pflege der Hackfrüchte im Vordergrund. Die Heuernte auf den Dauergrünlandflächen ist ebenfalls eine zentrale Tätigkeit, die das Futter für den Winter sichert. Ab Juli beginnt die Getreideernte, eine logistische Meisterleistung, bei der das Wetter eine entscheidende Rolle spielt. Im Spätsommer und Herbst verschiebt sich der Fokus dann wieder. Nach der Ernte von Mais und Zuckerrüben werden die Felder für die nächste Saison vorbereitet. Dies ist der optimale Zeitpunkt für die Aussaat von Winterraps und Wintergetreide, die vor dem ersten Frost keimen und einen Wachstumsvorsprung für das nächste Frühjahr haben. Dieser Zyklus der Fruchtfolge ist nicht nur für den Ertrag, sondern auch für die Bodengesundheit von entscheidender Bedeutung.
Zersiedelung im Mittelland: Warum verschwinden täglich 8 Hektar Landwirtschaftsfläche
Eine der grössten und unumkehrbarsten Bedrohungen für die Schweizer Landwirtschaft ist nicht ökonomischer oder klimatischer Natur, sondern hat mit Beton und Asphalt zu tun: die Zersiedelung. Besonders das dicht besiedelte Mittelland steht unter einem enormen Druck. Wohnsiedlungen, Gewerbezonen und Infrastrukturprojekte beanspruchen stetig neues Land – und dieses Land ist fast immer wertvolles, fruchtbares Kulturland. Der Verlust von Ackerboden ist endgültig. Einmal überbaut, steht diese Fläche für die Lebensmittelproduktion nie wieder zur Verfügung. Diese schleichende Flächenkonkurrenz untergräbt die langfristige Ernährungssicherheit der Schweiz.
Dieser Landverlust geht Hand in Hand mit dem Strukturwandel in der Landwirtschaft. Kleinere Betriebe, die dem wirtschaftlichen Druck nicht standhalten können, geben auf. Ihr Land wird oft nicht von anderen Landwirten übernommen, sondern fällt der Ausdehnung der Siedlungsgebiete zum Opfer. Die Zahlen sind alarmierend: Seit dem Jahr 2000 ist nahezu ein Drittel der Landwirtschaftsbetriebe verschwunden, und über die letzten 40 Jahre hat sich ihre Anzahl sogar mehr als halbiert. Dieses Höfesterben ist kein abstraktes statistisches Phänomen, sondern eine tägliche Realität.
Die Kleinbauern-Vereinigung fasst die dramatische Entwicklung in ihrem Dossier zum Strukturwandel in eindringliche Worte:
Täglich schliessen zwei bis drei Betriebe ihre Stalltüren für immer – jährlich um die 500 Schweizer Bauernhöfe.
– Kleinbauern-Vereinigung, Dossier Strukturwandel 2025
Jeder geschlossene Hof bedeutet nicht nur das Ende einer Familientradition, sondern oft auch den Verlust von landwirtschaftlicher Nutzfläche. Auch wenn das revidierte Raumplanungsgesetz die Zersiedelung eindämmen soll, geht der Verlust weiter. Die Herausforderung besteht darin, eine Balance zwischen der Entwicklung von Wohn- und Wirtschaftsraum und dem Schutz der unverzichtbaren Ressource Boden zu finden. Ohne genügend fruchtbares Land kann auch der produktivste und innovativste Landwirt die Bevölkerung nicht ernähren.
60% Export oder 90% Binnenmarkt: Welche Branchen leiden zuerst bei Frankenstärke?
Die Schweizer Wirtschaft ist stark exportorientiert, doch die Landwirtschaft bildet hier eine Ausnahme und ist grösstenteils auf den Binnenmarkt ausgerichtet. Dennoch hat der Wechselkurs des Schweizer Frankens massive Auswirkungen auf die Branche. Eine starke Währung, die Frankenstärke, wirkt wie ein doppelter Schlag: Sie verteuert Schweizer Exporte auf dem Weltmarkt und verbilligt gleichzeitig Importe in die Schweiz. Dies verschärft den Wettbewerb für heimische Produzenten auf dem eigenen Markt erheblich.
Branchen, die einen gewissen Exportanteil haben, wie die Käse- oder Schokoladenindustrie, spüren den Effekt direkt durch sinkende Verkäufe im Ausland. Der weitaus grössere Effekt trifft jedoch die Produzenten für den Binnenmarkt. Wenn ausländisches Fleisch, Gemüse oder Obst durch den starken Franken noch günstiger wird, erhöht sich der Druck auf die Schweizer Bauern, ihre Preise zu senken, obwohl ihre Kosten (Löhne, Pacht, Maschinen) in Franken anfallen und gleich hoch bleiben. Besonders betroffen sind Sektoren, die bereits heute starker internationaler Konkurrenz ausgesetzt sind. Die negative Handelsbilanz bei Fleisch und Fleischprodukten von minus 726 Millionen Franken ist ein klares Indiz dafür.
Interessanterweise gibt es jedoch Nischen, die von der Globalisierung profitieren und eine positive Handelsbilanz aufweisen. Dazu gehören stark verarbeitete Produkte, bei denen das Rohmaterial oft importiert wird. Wie der Agrarbericht 2024 zeigt, erzielt die Schweiz einen Exportüberschuss von 2,2 Milliarden Franken bei Kaffee, Tabak und Pflanzenextrakten. Dies verdeutlicht die Zweiteilung der Agrarwirtschaft: Auf der einen Seite stehen die Produzenten von Rohstoffen (Bauern), die unter der Frankenstärke leiden. Auf der anderen Seite steht eine hoch spezialisierte Verarbeitungsindustrie, die international erfolgreich agiert. Diese Trennung innerhalb der Wertschöpfungskette zeigt, dass die Auswirkungen der Frankenstärke je nach Branche und Positionierung sehr unterschiedlich ausfallen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Schweizer Landwirtschaft agiert in einem ständigen Spannungsfeld zwischen hohen ökologischen Ansprüchen (ÖLN) und massivem Importdruck.
- Resilienz wird nicht durch Grösse, sondern durch Diversifizierung, Direktvermarktung und vor allem durch den Schutz der Bodengesundheit erreicht.
- Externe Faktoren wie die Zersiedelung und die Frankenstärke stellen existenzielle Bedrohungen für die heimische Produktion dar und untergraben die Versorgungssicherheit.
Trotz Frankenschock, Pandemie, Energiekrise: Warum bleibt die Schweizer Wirtschaft stabil?
Die vergangenen Jahre waren geprägt von einer Kaskade von Krisen: Die abrupte Aufhebung des Euro-Mindestkurses (Frankenschock), die Unterbrechung von Lieferketten während der Pandemie und der massive Anstieg der Energiekosten. Jede dieser Krisen hat die Schweizer Landwirtschaft empfindlich getroffen. Dennoch hat das System eine bemerkenswerte systemische Resilienz bewiesen. Diese Stabilität ist jedoch kein Zufall, sondern das Ergebnis von Anpassungsstrategien und der diversifizierten Struktur vieler Betriebe.
Die folgende Übersicht zeigt, wie verschiedene Betriebstypen auf die Krisen reagieren konnten:
| Krisenereignis | Betroffenheit | Stabilisierungsmassnahme |
|---|---|---|
| Frankenschock | Exportorientierte Betriebe | Fokus auf Binnenmarkt, Qualitätsstrategie |
| Pandemie | Gastronomielieferanten | Boom der Direktvermarktung |
| Energiekrise | Gewächshausbetriebe | Solaranlagen, alternative Kulturen |
Diese Anpassungsfähigkeit darf jedoch nicht über tiefere, strukturelle Schwachstellen hinwegtäuschen. Eine der grössten Abhängigkeiten der ansonsten robusten Schweizer Landwirtschaft ist der Import von Futtermitteln. Eine Analyse der Schweizerischen Vogelwarte kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Der jährliche Kraftfutterimport von rund 1 Million Tonnen benötigt im Ausland Ackerflächen, die drei Viertel der gesamten Schweizer Ackerfläche entsprechen. Diese « virtuelle » Landnahme im Ausland stellt eine erhebliche Verwundbarkeit dar. Sollten diese Lieferketten unterbrochen werden, hätte dies direkte Auswirkungen auf die Schweizer Fleisch- und Milchproduktion.
Demgegenüber steht die Aussage des Schweizer Bauernverbands, dass 86 Prozent des gesamten Tierfutters aus der Schweiz stammen. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich bei genauerem Hinsehen auf: Der Grossteil des Futters ist Raufutter (Gras, Heu), das hierzulande wächst. Das importierte Kraftfutter ist jedoch protein- und energiereich und für die Leistungsfähigkeit in der Tierhaltung entscheidend. Die Stabilität der Schweizer Landwirtschaft ist also eine komplexe Balance aus heimischer Stärke und globaler Abhängigkeit – ein Gleichgewicht, das ständiger Pflege und strategischer Weitsicht bedarf.
Ein tieferes Verständnis dieser Zusammenhänge ist der erste Schritt, um als Konsument, Bürger oder politischer Entscheidungsträger die Weichen für eine nachhaltige und sichere Zukunft der Schweizer Landwirtschaft und unserer Lebensmittelversorgung richtig zu stellen.