Publié le 11 mars 2024

Die nationale Kohäsion der Schweiz beruht nicht auf statischen Symbolen, sondern auf bewusst gelebten politischen und alltäglichen Ritualen, die den Dissens organisieren und gerade dadurch eine übergeordnete Identität als « Willensnation » schmieden.

  • Die Mehrsprachigkeit ist kein Zufall, sondern das Ergebnis eines bewussten politischen Projekts zur Inklusion und Staatsbildung nach 1848.
  • Politische Rituale wie Abstimmungen und die Kultur des Kompromisses sind für den Zusammenhalt wichtiger als folkloristische Feiertage.
  • Die Stärkung der Schweizer Identität erfordert die aktive Teilnahme an diesen Ritualen, nicht nur den passiven Konsum von Kultur.

Empfehlung: Um die nationale Identität wirksam zu fördern, müssen politische Entscheidungsträger und Pädagogen den Fokus von der reinen Symbolpflege auf die Stärkung der aktiven Partizipation an den demokratischen und alltäglichen Ritualen des Landes verlagern.

Was hält eine Nation zusammen, die auf dem kleinsten Raum vier offizielle Sprachen, unzählige Dialekte und markante kulturelle Unterschiede vereint? Fragt man nach der Schweizer Identität, fallen schnell die bekannten Begriffe: Berge, Schokolade, Pünktlichkeit, Neutralität. Diese Symbole haben ihre Berechtigung, doch sie kratzen nur an der Oberfläche und verfehlen den Kern dessen, was die eidgenössische Kohäsion in ihrer tiefsten Essenz ausmacht. Sie sind das Ergebnis, nicht die Ursache des Zusammenhalts. Viele Ansätze zur Stärkung der nationalen Identität konzentrieren sich auf die Pflege dieser folkloristischen Fassade oder die Verehrung historischer Mythen.

Doch was wäre, wenn der wahre Kitt der Nation nicht in der Harmonie, sondern in der organisierten Auseinandersetzung liegt? Dieser Artikel vertritt die These, dass die Schweizer Identität primär durch gelebte, sich ständig wiederholende Rituale geschaffen und erhalten wird. Dabei geht es weniger um den Fackelumzug am 1. August als um die Mikro-Rituale des Alltags und die grossen, institutionalisierten Rituale der Politik. Es ist die bewusste Entscheidung, als « Willensnation » zusammenzuleben, die sich in diesen Handlungen manifestiert. Diese Perspektive verschiebt den Fokus von statischen Symbolen hin zu dynamischen Prozessen und von der passiven Bewunderung zur aktiven Teilnahme.

Wir werden untersuchen, wie diese Rituale – von der Nationalhymne bis zum Abstimmungssonntag – als soziale Mechanismen wirken, die nicht nur Einheit schaffen, sondern auch Spannungen wie den « Röstigraben » kanalisieren. Wir analysieren, wie die Koexistenz von kantonaler und nationaler Identität funktioniert und welche konkreten Massnahmen die soziale Fragmentierung verhindern können. Ziel ist es, ein tieferes Verständnis für die komplexe Mechanik des Schweizer Zusammenhalts zu entwickeln, das über vereinfachende Klischees hinausgeht und umsetzbare Erkenntnisse für Kulturpolitiker, Pädagogen und Identitätsforscher liefert.

Warum fühlen sich 35% der Romands weniger schweizerisch als deutschschweizerisch?

Der sogenannte « Röstigraben » ist mehr als eine kulinarische Metapher; er bezeichnet eine spürbare kulturelle und politische Kluft zwischen der deutschsprachigen und der französischsprachigen Schweiz. Dieses Gefühl der Entfremdung hat reale Grundlagen, die sich oft in der Demografie widerspiegeln. So zeigen Sprachstatistiken ein deutliches Ungleichgewicht: Während rund 61% der Bevölkerung Deutsch als Hauptsprache angeben, sind es beim Französischen nur etwa 23%. Dieses numerische Übergewicht kann in der Romandie das Gefühl erzeugen, eine Minderheit im eigenen Land zu sein, deren Anliegen und kulturelle Sensibilitäten nicht immer das gleiche Gewicht erhalten.

Diese Wahrnehmung wird durch unterschiedliche politische Mentalitäten und Abstimmungsergebnisse verstärkt. Fragen zur europäischen Integration, zur Rolle des Staates oder zu gesellschaftlichen Liberalisierungen zeigen oft deutliche Unterschiede zwischen den Sprachregionen. Das Gefühl, systematisch überstimmt zu werden, kann das nationale Identitätsgefühl schwächen und die regionale Identität stärken. Es ist eine ständige Herausforderung, diese Zentrifugalkräfte auszugleichen und ein gemeinsames « Wir-Gefühl » zu kultivieren, das über die Sprachgrenzen hinausgeht.

Paradoxerweise liegt gerade in der Anerkennung dieser Unterschiede ein Schlüssel zum Zusammenhalt. Die Schweizer Identität nährt sich nicht aus einer erzwungenen Homogenität, sondern aus dem bewussten Entschluss, trotz allem eine Einheit zu bilden. Wie SRF Kultur treffend formuliert, ist es dieser Wille, der die Vielfalt erst ermöglicht und sie zum Kern des nationalen Selbstverständnisses macht.

Der Wille zur Einheit trotz aller Unterschiede ist das Kernelement der Schweizer Identität.

– SRF Kultur, Sprachland Schweiz – Wo ein Wille ist, ist auch eine Vielfalt

Dieses Bekenntnis zur « Willensnation » ist das fundamentale Ritual, das die Schweiz im Innersten zusammenhält. Es ist eine tägliche, bewusste Entscheidung, die in allen anderen politischen und sozialen Ritualen des Landes immer wieder neu bestätigt werden muss.

Vom Bundesfeiertag bis zur Nationalhymne: Welche Rituale schaffen Schweizer Identität?

Nationale Rituale sind keine naturgegebenen Traditionen, sondern oft bewusste politische Inszenierungen, die ein Gefühl der Zusammengehörigkeit schaffen sollen. Die Schweiz bildet hier keine Ausnahme. Die erste offizielle Bundesfeier am 1. August 1891 und die ab 1899 etablierte Nationalfeier waren, wie das Historische Lexikon der Schweiz beschreibt, zentrale Instrumente der politischen Elite zur Formung einer nationalen Identität. Zusammen mit der Schweizerfahne, Schützenfesten und der Nationalhymne dienen diese ritualisierten Feiern dazu, die abstrakte Idee der « Nation » greifbar und emotional erlebbar zu machen.

Doch die Schweizer Identität wird nicht nur an hohen Feiertagen gepflegt. Vielmehr sind es die unzähligen Mikro-Rituale des Alltags, die das nationale Selbstverständnis im Stillen prägen. Diese reichen von der gesellschaftlichen Norm, sich auf Wanderwegen mit einem « Grüezi » zu begrüssen, bis hin zum kollektiven Vertrauen in die Pünktlichkeit des öffentlichen Verkehrs. Diese geteilten Verhaltensweisen und Erwartungen schaffen ein unsichtbares Netz aus Vertrautheit und Verlässlichkeit, das oft stärker wirkt als jede offizielle Zeremonie.

Mikro-Rituale des Schweizer Alltags als identitätsstiftende Elemente

Die Ankunft eines Zuges auf die Minute genau ist mehr als nur effiziente Logistik; es ist die Bestätigung eines gemeinsamen Wertesystems, das auf Präzision und Zuverlässigkeit basiert. Solche alltäglichen Rituale sind deshalb so wirkmächtig, weil sie nicht verordnet werden, sondern aus einem gelebten Konsens erwachsen. Sie sind der Beweis dafür, dass die Schweizer Identität weniger in grossen Gesten als vielmehr in der Summe kleiner, aber konsequent praktizierter Gewohnheiten liegt, die eine gemeinsame Kultur des Miteinanders definieren.

Kantonsidentität oder Schweizer Identität: Welche Ebene zuerst fördern?

Die Schweiz ist das Paradebeispiel einer Nation mit multiplen Identitätsebenen. Für viele Bürgerinnen und Bürger ist die Zugehörigkeit zum eigenen Kanton – sei es Bern, Genf oder das Tessin – emotional präsenter und historisch tiefer verwurzelt als die abstraktere nationale Identität. Dieser « Kantönligeist » ist keine Schwäche des Systems, sondern seine Grundlage. Der Föderalismus erlaubt es, dass starke lokale Identitäten nicht nur existieren, sondern als Fundament für den nationalen Zusammenhalt dienen. Die Frage ist also nicht « entweder/oder », sondern « wie » diese beiden Ebenen in eine produktive Balance gebracht werden können.

Anstatt die kantonale Identität als Hindernis zu sehen, sollte sie als primärer Ort der kulturellen und politischen Sozialisation verstanden werden. Hier werden die Rituale der Demokratie und des gesellschaftlichen Engagements im Kleinen eingeübt. Die Förderung der nationalen Identität gelingt am besten, indem man die Brücken zwischen diesen Ebenen stärkt. Dies kann durch interkantonale Kulturprojekte, Jugendaustauschprogramme oder die Betonung gemeinsamer historischer Erfahrungen geschehen, die über die kantonalen Grenzen hinausweisen. Es geht darum, das Gemeinsame im Verschiedenen sichtbar zu machen.

Diese komplexe Identitätsstruktur wird durch die Globalisierung weiter herausgefordert. Die Arbeitswelt zeigt eine zunehmende Sprachenvielfalt, bei der Englisch oft als Lingua franca dient. So sprechen laut Bundesamt für Statistik heute 23% der Erwerbstätigen Englisch bei der Arbeit, was die traditionelle Viersprachigkeit relativiert. Das friedliche Zusammenleben in der Schweiz beweist jedoch, dass eine funktionierende Nation keine homogene Sprach- oder Kulturgemeinschaft benötigt. Die Stärke liegt in der politischen Struktur, die diese Vielfalt nicht nur aushält, sondern als konstitutives Merkmal begreift und schützt. Die Förderung der nationalen Identität bedeutet also, den föderalen Rahmen und die Kultur des Ausgleichs selbst zu stärken.

Warum Zwangs-Schweizerdeutsch-Unterricht in der Romandie Ressentiments schürt

Die Sprachenfrage ist ein zentrales und zugleich hochemotionales Thema für die Schweizer Identität. Insbesondere die Debatte um den Schweizerdeutsch-Unterricht in der Romandie legt tiefsitzende Asymmetrien offen. Die Forderung, Romands sollten Schweizerdeutsch lernen, um sich besser zu integrieren, stösst oft auf Widerstand. Dieses Ressentiment speist sich aus der Tatsache, dass es sich hierbei um einen asymmetrischen Spracherwerb handelt. Während von den Romands erwartet wird, eine Gruppe von nicht-kodifizierten alemannischen Dialekten ohne feste Grammatik zu erlernen, wechseln Deutschschweizer im Gespräch mit welschen Mitbürgern fast automatisch ins Hochdeutsche. Dieses Verhalten, obwohl oft gut gemeint, nimmt den Lernenden jede Möglichkeit zur praktischen Anwendung und macht die Anforderung zu einer einseitigen und extrem hohen Hürde.

Diese sprachliche Asymmetrie schafft ein Machtgefälle und kann als mangelnder Respekt vor der eigenen Sprache und Kultur empfunden werden. Ein « Zwangs-Unterricht » würde dieses Gefühl der Überforderung und der Ungerechtigkeit nur verstärken, anstatt Brücken zu bauen. Eine sinnvollere Herangehensweise liegt in der Förderung von Austausch und Begegnung auf Augenhöhe, wo der Spracherwerb aus intrinsischer Motivation und nicht aus äusserem Druck entsteht. Es geht um das Schaffen von Gelegenheiten, nicht um das Auferlegen von Pflichten.

Die Komplexität der sprachlichen Realität in der Schweiz zeigt sich auch am Beispiel der kleinsten Landessprache. Das Bundesamt für Statistik verdeutlicht, dass die Sprachenlandschaft vielfältig ist. Während die grossen Sprachgruppen dominieren, kämpfen kleinere Gemeinschaften um ihren Erhalt. Die Tatsache, dass nur noch rund 36’000 Personen Rätoromanisch als Hauptsprache angeben, unterstreicht die Verantwortung der gesamten Nation, ihre sprachliche Vielfalt nicht nur als folkloristisches Erbe, sondern als lebendigen und schützenswerten Teil der nationalen Identität zu begreifen. Ein respektvoller Umgang mit allen Landessprachen ist ein tägliches Ritual zur Bestätigung der Willensnation.

1. August oder Escalade: Welche Feiertage wann in den Vordergrund?

Die Schweizer Identität entfaltet sich auf verschiedenen Ebenen, und nichts illustriert dies besser als der Festkalender. Einerseits gibt es den nationalen Bundesfeiertag am 1. August, das grosse Ritual der staatlichen Einheit, das im ganzen Land begangen wird. Andererseits existieren unzählige stark verankerte lokale und regionale Feste wie die Genfer Escalade, die Basler Fasnacht oder das Zürcher Sechseläuten. Diese Feste zelebrieren eine spezifische kantonale oder städtische Geschichte und Identität. Sie konkurrieren nicht mit der nationalen Identität, sondern ergänzen sie und schaffen eine reiche, vielschichtige Zugehörigkeit.

Anstatt diese Feste gegeneinander auszuspielen, besteht die Kunst darin, ihre jeweilige Funktion zu verstehen und zu würdigen. Lokale Feste stärken den sozialen Zusammenhalt vor Ort und verankern die Menschen in ihrer unmittelbaren Gemeinschaft. Sie sind der Ort, an dem kulturelle Traditionen über Generationen hinweg emotional weitergegeben werden. Der Nationalfeiertag hingegen hat die Aufgabe, ein übergeordnetes Dach zu schaffen und die gemeinsamen Werte und die politische Einheit der Eidgenossenschaft zu bekräftigen. Ein starkes Nationalgefühl kann nur auf dem Boden gefestigter regionaler Identitäten gedeihen.

Doppelidentität durch lokale und nationale Feste in der Schweiz

Die strategische Förderung der nationalen Identität muss daher beide Ebenen im Blick haben. Es geht darum, den 1. August als Feier der gemeinsamen politischen Werte und der Willensnation zu inszenieren, während gleichzeitig die einzigartigen Traditionen der Kantone und Gemeinden als unverzichtbarer Reichtum des Ganzen geschätzt und unterstützt werden. Die Doppelidentität als Genfer und Schweizer, als Bündnerin und Schweizerin, ist keine Widerspruch, sondern die gelebte Realität des erfolgreichen föderalen Modells der Schweiz.

Warum spricht ein Land von 8,7 Millionen Menschen vier offizielle Sprachen?

Die Viersprachigkeit der Schweiz ist kein historischer Zufall, sondern das Ergebnis eines bewussten und strategischen politischen Projekts. Sie ist das Fundament der « Willensnation ». Nach der Gründung des modernen Bundesstaates 1848 stand die politische Elite vor der Herausforderung, die neu beigetretenen welschen und italienischen Kantone dauerhaft in das von Deutschschweizern dominierte Gebilde zu integrieren. Anstatt auf sprachliche Assimilation zu setzen, entschied man sich für den weitsichtigen Weg der Anerkennung und Inklusion. Die Erhebung von Französisch und Italienisch zu offiziellen Landessprachen war eine explizite politische Entscheidung, um eine nationale Einheit zu schmieden, die nicht auf ethnischer oder sprachlicher Homogenität, sondern auf einem gemeinsamen politischen Willen beruht.

Diese historische Weichenstellung macht die Schweiz, wie die NZZ betont, mehr als andere Staaten von der einigenden Wirkung nationaler Mythen und gemeinsamer Erzählungen abhängig. Die Geschichte der Viersprachigkeit ist selbst eine dieser zentralen Erzählungen. Sie ist ein ständiges Ritual der Selbstvergewisserung, dass die Einheit des Landes eine aktive politische Leistung ist und bleibt. Dieses Modell hat sich als äusserst robust erwiesen und ist heute tief in der gesellschaftlichen Realität verankert.

Die Mehrsprachigkeit ist für viele Schweizerinnen und Schweizer gelebter Alltag. Die Sprachstatistik des Bundes belegt, dass mehr als zwei Drittel der Bevölkerung regelmässig mehr als eine Sprache verwenden. Dieser tägliche Umgang mit sprachlicher Vielfalt ist ein permanentes Training in Toleranz und kultureller Flexibilität. Es ist ein stilles, aber wirkmächtiges Ritual, das die Grundpfeiler der Willensnation im Alltag immer wieder aufs Neue festigt. Die vier Sprachen sind somit nicht nur ein administratives Merkmal, sondern das pulsierende Herz des Schweizer Gesellschaftsvertrags.

Vom Zuschauer zum Kulturschaffenden: Die 5 Wege zur aktiven Kulturpartizipation

Die nationale Identität wird nicht durch passiven Konsum, sondern durch aktive Teilnahme gestärkt. In einer vielfältigen Gesellschaft wie der Schweiz ist es entscheidend, die Bürgerinnen und Bürger von blossen Zuschauern zu aktiven Kulturschaffenden zu machen. Traditionelle Formen des Engagements wie Jodelchöre oder Turnvereine bleiben wichtig, doch die moderne Gesellschaft erfordert neue, zugänglichere Wege der Partizipation. Es geht darum, Räume zu schaffen, in denen Menschen ihre eigene Kultur leben, interpretieren und weiterentwickeln können, anstatt sie nur als museales Erbe zu betrachten.

Die Digitalisierung und neue soziale Bewegungen eröffnen hierfür vielfältige Möglichkeiten, die oft unter dem Radar der traditionellen Kulturförderung laufen. Von der Mitarbeit an digitalen Wissensprojekten über das Engagement in urbanen Nachhaltigkeitsinitiativen bis hin zur Gründung kultureller Start-ups – die Wege zur aktiven Mitgestaltung sind zahlreicher denn je. Diese neuen Formen der Partizipation sind oft weniger formell und hierarchisch, was sie besonders für jüngere Generationen attraktiv macht. Sie verbinden traditionelle Werte mit modernen Lebensrealitäten und sorgen so für die stetige Erneuerung des kulturellen Gefüges.

Der Übergang vom Konsumenten zum Produzenten von Kultur ist ein entscheidender Schritt zur Vertiefung des Zugehörigkeitsgefühls. Wer selbst Teil des kreativen Prozesses ist, entwickelt eine viel stärkere Bindung an die Gemeinschaft und ihre Werte. Kulturförderung sollte sich daher nicht darauf beschränken, fertige Produkte zu subventionieren, sondern gezielt die Rahmenbedingungen für Laienkultur und bürgerschaftliches Engagement verbessern.

Ihr Plan zur aktiven Kulturpartizipation: Moderne Wege zur Mitgestaltung

  1. Digitale Kulturpartizipation: Engagieren Sie sich bei der Erstellung von Inhalten für die alemannische Wikipedia oder nehmen Sie an politischen Debatten auf Plattformen wie « Vimentis » teil, um die digitale Öffentlichkeit mitzugestalten.
  2. Urbane Vereinskultur 2.0: Bringen Sie sich in städtischen Initiativen wie urbanen Gärten, Repair-Cafés oder lokalen Hackerspaces ein, die Gemeinschaft und Nachhaltigkeit fördern.
  3. Regionale Online-Communities: Werden Sie aktiv in kantonalen oder lokalen Facebook-Gruppen und teilen Sie lokale Traditionen, Geschichten oder Veranstaltungen, um das digitale Gedächtnis Ihrer Region zu stärken.
  4. Kulturelle Start-ups: Entwickeln Sie eine Geschäftsidee, die Schweizer Traditionen auf moderne Weise interpretiert – sei es in Mode, Design, Kulinarik oder Tourismus.
  5. Kantonale Kulturförderung nutzen: Informieren Sie sich über die Fördertöpfe für Laienkultur in Ihrem Kanton und reichen Sie ein eigenes Projekt ein, um Ihre kreativen Ideen umzusetzen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Schweizer Identität ist keine statische Gegebenheit, sondern eine aktive Konstruktion, die auf dem politischen Konzept der « Willensnation » beruht.
  • Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird weniger durch folkloristische Symbole als durch gelebte politische und alltägliche Rituale – einschliesslich der organisierten Auseinandersetzung – gesichert.
  • Aktive Partizipation an kulturellen und demokratischen Prozessen ist der entscheidende Faktor, um die nationale Kohäsion in einer vielfältigen Gesellschaft lebendig zu halten und zu erneuern.

Gesellschaft zusammenhalten: Welche Massnahmen wirken gegen soziale Fragmentierung?

In einer zunehmend globalisierten und individualisierten Welt ist die soziale Fragmentierung eine der grössten Herausforderungen für den nationalen Zusammenhalt. Die Schweiz begegnet dieser Gefahr mit einer Reihe von bewährten und innovativen Massnahmen. Das Fundament bleibt die bereits erwähnte Konzeption als « Willensnation ». Wie Atakan Simsek im « Schweizer Monat » schreibt, ist es genau diese Tatsache, die « die unterschiedlichsten Kulturen im kleinsten Raum zusammenhält ». Dieses politische Bekenntnis muss jedoch durch konkrete Rituale und Institutionen mit Leben gefüllt werden.

Ein zentrales Ritual zur Bekämpfung der Fragmentierung ist die direkte Demokratie. Jeder Abstimmungssonntag zwingt die gesamte Bevölkerung, sich mit den gleichen Sachthemen auseinanderzusetzen, Argumente abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen. Dieser « ritualisierte Dissens » schafft eine landesweite Öffentlichkeit und ein Gefühl der geteilten Verantwortung, das stärker ist als viele kulturelle Unterschiede. Es ist ein Training im Kompromiss und im Respekt vor der Meinung anderer – eine Kernkompetenz für den Zusammenhalt in einer pluralistischen Gesellschaft.

Rituale der direkten Demokratie als Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenhalts

Darüber hinaus werden gezielte Massnahmen ergriffen, um alle Teile der Gesellschaft einzubinden. Ein hervorragendes Beispiel ist die aktive Integration der « Fünften Schweiz », der rund 800’000 Auslandschweizer. Durch digitale Plattformen wie die SWIplus App, den jährlichen Auslandschweizerkongress und ihre Rolle als Kulturbotschafter werden sie gezielt als Kitt für die nationale Identität genutzt. Diese Massnahme zeigt, dass die Schweizer Gemeinschaft nicht an den Landesgrenzen endet und dass moderne Technologie genutzt werden kann, um das Gefühl der Zugehörigkeit über geografische Distanzen hinweg zu stärken.

Um den Zusammenhalt nachhaltig zu sichern, ist es entscheidend, diese integrativen Mechanismen kontinuierlich zu pflegen und an neue Herausforderungen anzupassen.

Für Kulturpolitiker, Pädagogen und alle, die an der Stärkung des nationalen Zusammenhalts interessiert sind, besteht der nächste logische Schritt darin, die existierenden Rituale in der eigenen Sphäre zu analysieren. Identifizieren Sie, wo Partizipation gefördert und wo neue, inklusive Rituale geschaffen werden können, um die Schweizer Willensnation für die Zukunft zu festigen.

Rédigé par Stefan Meier, Stefan Meier ist Politikwissenschaftler mit Spezialisierung auf Schweizer Föderalismus und direkte Demokratie, promoviert an der Universität Bern. Seit 15 Jahren erforscht er als Dozent am Institut für Politikwissenschaft die Funktionsweise schweizerischer Institutionen und berät Behörden zu föderalen Strukturen. Er publiziert regelmässig zu Fragen der Gewaltenteilung, der Neutralitätspolitik und des gesellschaftlichen Zusammenhalts in mehrsprachigen Demokratien.